Der Porno des Rechthabens
Susanne Schnabls Appell für eine neue Gesprächskultur.
Wir haben Fehler gemacht.“So beginnt ein guter Satz, wenn man miteinander ins Gespräch kommen möchte. Das ist dumm, populistisch, rassistisch, rechts- oder linksextrem (Ergänzungen bitte einfügen). So beginnen Selbstgespräche. Das Problem: Diese Selbstgespräche finden öffentlich statt. Im Netz geht es selten darum zu erfahren, wie man eine Sache noch sehen und beurteilen kann, sondern oftmals nur darum, sich abzureagieren. Die Vermutung liegt nahe: Je weniger wir persönlich miteinander sprechen (weil wir ja liken, posten, twittern et cetera müssen), umso erregter werden wir. Eine Art mentaler Selbstpornofizierung.
Susanne Schnabl, profilierte Innenpolitik-Redakteurin im ORF, hält dagegen: „Wir müssen reden“nennt sie ihre Analyse der Vereinzelung und Verrohung in den (elektronischen) Medien und einer Therapie dagegen. Anders als in angloamerikanischen Ländern war eine Streitkultur in Österreich nie sehr ausgeprägt. Widerspruch wird hierzulande immer noch als Affront statt als Anregung empfunden. So gesehen haben die „unsozialen Netzwerke“eine Austrofizierung der Kommunikationsunkultur gebracht.
Drastisch verschärft hat die Situation selbstverständlich die Political Correctness. Sie ist wesensmäßig elitenbildend. NLP-geschulte Politiker (Neuro-Linguistisches Programmieren) haben gelernt, ihre Worte in Zaum zu halten, um nichts zu sagen, was später gegen sie verwendet werden könnte. Was zur zweifelhaften Kunst geführt hat, viel zu reden und nichts zu sagen, schon gar nicht das, was man denkt. Der „Mann von der Straße“dagegen will Klartext und, dass man ihm zuhört, auch wenn er spricht, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Diese Schere ist schon deshalb weiter aufgegangen, weil die beiden Gruppen immer weniger in direkten Kontakt miteinander kommen.
Medien-GAU Herbst 2015
Ein Übriges hat der Herbst 2015 beigetragen. Eine „gelenkte“Berichterstattung über die Flüchtlingskrise hat das Misstrauen in der Bevölkerung gegenüber den Medien weiter verstärkt. Da setzt Susanne Schnabl mit dem Satz „Ja, wir haben Fehler gemacht“an. Vermutlich kam sie deshalb mit der Besitzerin eines Nagelstudios in Floridsdorf ins Gespräch, deren Postings sie als „Wutbürgerin“auswiesen. Anders die persönliche Begegnung: „Man darf das ja alles, was man sich so denkt, nicht mehr sagen“, klagt Frau T. im Verlauf des Gesprächs. Von Wut ist da nichts mehr zu spüren, mehr eine gewisse Frustration. Man will nicht sofort die Nazi-Keule übergezogen bekommen, nur weil man Bedenken gegen unkontrollierte Zuwanderung hat.
Susanne Schnabl spricht von der intellektuellen Dürftigkeit der Zelebration moralischer Überlegenheit und in Anlehnung an „Kurier“-Redakteur Guido Tartarotti von einem „Porno des Rechthabens“. Sie weiß, dass Selbstkritik nicht zu den Stärken der Medien zählt. Wer dort die Hand beißt, die ihn füttert, gilt noch mehr als in anderen Branchen als Querulant und Nestbeschmutzer anstatt als Aufdecker von Schweinereien – worauf sich die Medien gegenüber der Politik doch so viel zugutehalten.
Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung ändern könne, ist Susanne Schnabl mit Francis Picabia einig. Und das sei die Voraussetzung dafür, „überhaupt wieder miteinander zu kommunizieren“. Ob sie sich mit ihrem unspektakulären Appell in der eigenen Branche viele Freunde macht, bleibt abzuwarten. Die Stimme der Vernunft bleibt leise.
Susanne Schnabl
Wir müssen reden Warum wir eine neue Streitkultur brauchen. 152 S., geb., € 22,50 (Brandstätter Verlag, Wien)