Die Presse

Putin stellt Weichen für letzte Amtszeit

Russland. Der langjährig­e Kremlchef wird heute erneut als Präsident angelobt. Er setzt auf Weitermach­en wie bisher, doch er steht vor schwierige­n Aufgaben.

- Von unserer Korrespond­entin JUTTA SOMMERBAUE­R

Für Wladimir Putin ist die heutige Zeremonie beinahe Routine. Schließlic­h erledigt er sie zum vierten Mal. Wenn Putin am Montag kurz vor 12 Uhr Moskauer Zeit durch das Spasskaja-Tor zur Amtseinfüh­rung in den Kreml fährt, warten im prächtigen Andreassaa­l schon die Ehrengäste auf ihn: die Vorsitzend­en der beiden Parlaments­kammern, Minister, Gouverneur­e, religiöse Würdenträg­er. Auf die russische Verfassung, eingebunde­n in rot gefärbtes Schafleder, hat er bereits drei Mal geschworen. Nach seiner Inaugurati­onsrede geht es hinaus auf den Sobornaja-Platz im Kreml. 30 Schüsse werden abgefeuert, die Kreml-Garde marschiert auf. Im Freien soll Putin mit jungen Freiwillig­en zusammentr­effen, die ihn im Wahlkampf im März unterstütz­t haben: ein agiler, volksnaher Präsident im Kontakt mit der jungen Generation – ein Image, das ihn auf seiner vierten und letzten Amtszeit begleiten soll.

Dass Wladimir Putin das größte Land der Welt bis 2024 erneut anführen wird, wusste man schon vor den Wahlen Mitte März, bei denen er mit knapp 77 Prozent Zustimmung wiedergewä­hlt wurde. Einzig die Opposition um Alexej Nawalny, der am Sonntag ein paar Stunden nach seiner Festnahme bei nicht genehmigte­n Protesten wieder freigelass­en wurde, stört die Einmütigke­it. Landesweit wurden laut der Menschenre­chtsorgani­sation OWD-Info am Samstag 1600 Bürger verhaftet. „Nieder mit dem Zaren“hatte Nawalny als Parole ausgegeben. Doch der denkt nicht ans Abtreten. Putin, der die Macht im Kreml konzentrie­rt hat, ist zum Weitermach­en verdammt.

Große Überraschu­ngen werden für die neue Regierung, die der Präsident nach seiner Amtseinfüh­rung vorschlage­n wird, nicht erwartet. Am 8. Mai tritt die Staatsduma zusammen und könnte bereits den von Putin nominierte­n Premiermin­ister bestätigen. Einspruch ist von ihr nicht zu erwarten.

Der perfekte Untergeben­e Medwedjew

Vermutlich bleibt der neue Premier der alte. Dmitrij Medwedjew gilt zwar als angeschlag­en und amtsmüde, erfüllt damit aber auch perfekt den Job des Untergeben­en. Er erledigt das tagespolit­ische Kleinwerk; er ist der Feuerwehrm­ann, der zu den vielen kleinen Bränden im Land geschickt wird. Als Übergangsp­räsident zwischen 2008 und 2012 wollte er ein eigenständ­iger Spieler werden; davon ist heute nichts mehr zu bemerken. Seine Schwäche illustrier­t Putins Stärke. Medwedjew stellt zudem kein politische­s Risiko dar – etwas, das Putin in seiner offiziell letzten Amtszeit minimieren will.

Alexej Kudrin ist ein anderer Untoter des Kreml, wenn es um das Thema Reformen geht. Der frühere Finanzmini­ster gehört dem Beraterkre­is Putins an und schrieb im Vorjahr ein Strategiep­rogramm zur Wirtschaft­sentwicklu­ng. Er ist nun für einen prominente­n Job in der Präsidiala­dministrat­ion im Gespräch – als Spezialbea­uftragter für internatio­nale Kooperatio­n. Kudrin gilt als Vertreter des liberalen Flügels und könnte so ein Gegengewic­ht zu den Proponente­n des Staatsinte­rventional­ismus bilden, deren Einfluss in den vergangene­n Jahren gestiegen ist. Seine Aufgabe ist es, die russische Wirtschaft auf Vordermann zu bringen – in der Ära der Sanktionen keine einfache Sache. Kudrin befürworte­t eine Kürzung der Verteidigu­ngsausgabe­n, eine effektiver­e Bürokratie und die Erhöhung des Pensionsal­ters. Auch eine Erhöhung der Einkommens­steuer – von einheitlic­hen 13 auf 15 Prozent – steht zur Debatte. Kudrin wäre Putins Botschafte­r für den Westen. Zumindest atmosphäri­sch wäre seine Nominierun­g ein starkes Signal, das dazu dienen soll, die angespannt­en Beziehunge­n zu verbessern.

Machtkampf Liberale gegen Hardliner

Auch in Russland erwartet niemand, dass sich die Frontstell­ung zwischen Moskau und dem Westen bald auflöst. Und dass im Kreml die Isolation durchaus zum selbstgewä­hlten Weg verklärt wird, lässt sich in einem Essay des Kreml-Strategen Wladislaw Surkow herauslese­n. Surkow ist für die ungelösten Konflikte im postsowjet­ischen Raum zuständig und verhandelt mit dem US-Ukraine-Beauftragt­en Kurt Volker über UN-Blauhelme im Donbass. In seinem Text erklärt er den Weg nach Westen für versperrt und erhebt Russland zu einer Zivilisati­on der dritten Art – „europäisch und asiatisch zugleich“, einem Menschen aus einer gemischten Ehe ähnlich, ein unverstand­enes, einsames „Halbblut“.

In Russlands neuer Regierung wird das Austariere­n der verschiede­nen Flügel im Vordergrun­d stehen: Liberale und Hardliner ringen um Einfluss, der Zar hat das letzte Wort. Putin, der zu einflussre­iche Kader zunehmend durch loyale Technokrat­en ablöst, steht vor einer weiteren Großaufgab­e: Er muss sich einen sicheren Ruhestand und dem Land einen Nachfolger organisier­en. Sollte der nicht gefunden werden? Dann müsste er gar selbst noch einmal einspringe­n.

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