Bernsteins Gottessuche, Mahlers Liebeserklärung
Musikverein Festival. Eröffnung mit den Wiener Philharmonikern.
Jahrzehntelang versorgten Musikverein und Konzerthaus abwechselnd die Wiener Festwochen mit attraktiven Konzertprogrammen. Unter Tomas Zierhofer-Kin, Intendant seit 2017, haben die Festwochen ihre Unterstützung zurückgezogen, Wiens große Konzertinstitute aber halten an der Idee dieser Festwochen-Konzerte fest. Eben ohne Unterstützung der Stadt. Heuer ist der Musikverein dran: Beim „Musikverein Festival“stehen zwei Jahresregenten im Mittelpunkt: Claude Debussy, der kommende Woche mit mehreren Programmen unter und mit Daniel Barenboim geehrt wird, sowie Leonard Bernstein anlässlich dessen 100. Geburtstags. Mit seiner ersten Symphonie, „Jeremiah“, wurde das neue Festival eröffnet.
Dieses dreisätzige Werk zeigt, wie wesentlich für Bernstein stets die Religion, die Suche nach Gott, war. Nach meditativem Beginn, hinter dessen Solohorn-Motiv sich bereits das Kernthema verbirgt, folgt der zweite Satz, der durch die Zerstörung Jerusalems durch die Babylonier angeregt wurde, als Jazz-Anklänge mit hebräischen Gesängen verbindendes, grimmiges Scherzo. Die Hoffnung auf die Hilfe Gottes bestimmt das Fi- nale mit Ausschnitten aus den Klageliedern des Jeremias, vorgetragen von einem Alt.
Anstelle des erkrankten Zubin Mehta engagierte sich Daniel Harding an der Spitze der blendend gelaunten Philharmoniker für dieses Werk, dessen Atmosphären er sorgfältig herausarbeitete. Auch Solistin Elisabeth Kulman zeigte sich bei dieser herausfordernden Aufgabe – der Text ist hebräisch, die Partie minutiös in den Orchesterpart integriert – von ihrer besten Seite, überzeugte durch Textklarheit und subtile Phrasierung.
Differenziert näherte sich Harding jener Mahler-Symphonie, deren Partitur Bernstein auf dessen ausdrücklichen Wunsch in den Sarg gelegt wurde: der Fünften. Er konzentrierte sich vor allem auf zahlreiche melodische Details, was ein gewaltig gesteigertes Finale nicht ausschloss. Etwas langsam nahm der Stirnsatz Fahrt auf. Den zweiten Satz hätte man sich etwas kräftiger akzentuiert vorstellen können. Betont unsentimental, mit unterschiedlich gelungenen Übergängen erstand das von Bernstein als Liebeserklärung für seine Frau gedachte Adagietto. Im Kernstück, dem Scherzo, schienen Harding die poetischen Momente und die Walzerstimmung, wichtiger als die dramatisch nach vorwärts drängenden Episoden.