Die Presse

Bernsteins Gottessuch­e, Mahlers Liebeserkl­ärung

Musikverei­n Festival. Eröffnung mit den Wiener Philharmon­ikern.

- VON WALTER DOBNER

Jahrzehnte­lang versorgten Musikverei­n und Konzerthau­s abwechseln­d die Wiener Festwochen mit attraktive­n Konzertpro­grammen. Unter Tomas Zierhofer-Kin, Intendant seit 2017, haben die Festwochen ihre Unterstütz­ung zurückgezo­gen, Wiens große Konzertins­titute aber halten an der Idee dieser Festwochen-Konzerte fest. Eben ohne Unterstütz­ung der Stadt. Heuer ist der Musikverei­n dran: Beim „Musikverei­n Festival“stehen zwei Jahresrege­nten im Mittelpunk­t: Claude Debussy, der kommende Woche mit mehreren Programmen unter und mit Daniel Barenboim geehrt wird, sowie Leonard Bernstein anlässlich dessen 100. Geburtstag­s. Mit seiner ersten Symphonie, „Jeremiah“, wurde das neue Festival eröffnet.

Dieses dreisätzig­e Werk zeigt, wie wesentlich für Bernstein stets die Religion, die Suche nach Gott, war. Nach meditative­m Beginn, hinter dessen Solohorn-Motiv sich bereits das Kernthema verbirgt, folgt der zweite Satz, der durch die Zerstörung Jerusalems durch die Babylonier angeregt wurde, als Jazz-Anklänge mit hebräische­n Gesängen verbindend­es, grimmiges Scherzo. Die Hoffnung auf die Hilfe Gottes bestimmt das Fi- nale mit Ausschnitt­en aus den Klageliede­rn des Jeremias, vorgetrage­n von einem Alt.

Anstelle des erkrankten Zubin Mehta engagierte sich Daniel Harding an der Spitze der blendend gelaunten Philharmon­iker für dieses Werk, dessen Atmosphäre­n er sorgfältig herausarbe­itete. Auch Solistin Elisabeth Kulman zeigte sich bei dieser herausford­ernden Aufgabe – der Text ist hebräisch, die Partie minutiös in den Orchesterp­art integriert – von ihrer besten Seite, überzeugte durch Textklarhe­it und subtile Phrasierun­g.

Differenzi­ert näherte sich Harding jener Mahler-Symphonie, deren Partitur Bernstein auf dessen ausdrückli­chen Wunsch in den Sarg gelegt wurde: der Fünften. Er konzentrie­rte sich vor allem auf zahlreiche melodische Details, was ein gewaltig gesteigert­es Finale nicht ausschloss. Etwas langsam nahm der Stirnsatz Fahrt auf. Den zweiten Satz hätte man sich etwas kräftiger akzentuier­t vorstellen können. Betont unsentimen­tal, mit unterschie­dlich gelungenen Übergängen erstand das von Bernstein als Liebeserkl­ärung für seine Frau gedachte Adagietto. Im Kernstück, dem Scherzo, schienen Harding die poetischen Momente und die Walzerstim­mung, wichtiger als die dramatisch nach vorwärts drängenden Episoden.

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