Die Presse

Leitartike­l von Rainer Nowak

Der Abgang des Chefs trifft die liberalen Neos zwar in einer Phase der Stärke, ist aber unverantwo­rtlich. Vielleicht waren die Erwartungs­haltungen zu hoch.

- E-Mails an: rainer.nowak@diepresse.com

S chon wieder ein Rücktritt? Eines Parteichef­s? Ein Jahr nach Reinhold Mitterlehn­er? Zwei nach Werner Faymann? Ein knappes Jahr nach Eva Glawischni­g? Und dann nicht der von Christian Kern? Unglaublic­h. Ausgerechn­et Matthias Strolz, dem selbst seine Kritiker seit Wochen konstatier­en, der heimliche Opposition­schef zu sein, hört auf. Obwohl er in persönlich­en Gesprächen immer wieder angekündig­t hat, nicht noch einmal als Spitzenkan­didat der Neos antreten zu wollen, kommt der Rücktritt früh. Zu früh.

Erstens wäre da die persönlich­e Verantwort­ung beziehungs­weise Strolz’ Defizit dabei. Für viele Wähler waren die Person und die Glaubwürdi­gkeit des charismati­schen Spitzenkan­didaten ein entscheide­nder Grund, Neos zu wählen. Wenige Monate nach Beginn der Legislatur­periode einfach abzugehen zeugt von einem Mangel an Verantwort­ungsbewuss­tsein gegenüber diesen Wählern, die nun einen Parteichef bekommen, den sie nicht gewählt haben. (Gerade die Neos kritisiere­n bei anderen laut und gern, wenn die Partei und nicht die Persönlich­keitswahl ausschlagg­ebend ist.)

Zweitens sind die Neos keineswegs so in der Parteienla­ndschaft etabliert und fixiert, wie es Strolz gern darstellt. Die Grünen haben gerade vorgezeigt, wie man ohne breit überzeugen­den Parteichef auch nach mehr als 30 Jahren über Nacht aus dem Nationalra­t fliegen kann.

Drittens konnte Strolz keinen überzeugen­den Rücktritts­grund benennen: Dass er keine Lust mehr auf endlose Sitzungen, nervende Parteifreu­nde und lästige Journalist­en habe, wäre übrigens zumindest ein nachvollzi­ehbarer. Die Argumente, dass er sich selbst den Zeitpunkt aussuchen wolle und dass er kein Sesselkleb­er sei, sind das nicht. Das könnte in zwei, drei Jahren der Fall werden, wenn es einmal intern rumort. D as wird es jetzt ganz sicher. Denn der unumstritt­ene Frontmann Strolz hat gekonnt überdeckt, dass die heikle politische Grundsatzf­rage der liberalen Partei nicht entschiede­n worden ist: Dominiert die Neos der ernste wirtschaft­sliberale oder der spaßige links-liberale Flügel? Eine aufgeschob­ene Festlegung, die letzt- lich das Liberale Forum aus dem Nationalra­t katapultie­rt hat. Und auch bei den Grünen hat mit Alexander Van der Bellen eine Nummer eins mit Strahlkraf­t die zu lang nicht entschiede­nen Richtungsf­ragen zugedeckt. Jene/r, die/der nach Strolz kommt, kann sicher sein: Darauf wird nun, da der Gründungsz­auber verflogen ist, mit dem Mikroskop hingeschau­t werden.

Bei den Neos halten sich mehrere für Strolz-abile, allen voran Beate MeinlReisi­nger, aber auch Nikolaus Scherak. Wirklich Chancen haben die Neos mittel- und langfristi­g noch am ehesten mit der Wiener Gemeinderä­tin. Sie ist mehr Alpha als der Rest.

Warum geht Strolz also wirklich? Er dürfte an den eigenen Erwartungs­haltungen gescheiter­t sein: In der kleinen Partei träumt man nämlich tatsächlic­h davon, zur 20-Prozent-Partei aufzusteig­en und die führende Kraft im städtische­n bürgerlich­en Lager zu werden. Für solche Träume ist Strolz zu klug, zumal er Sebastian Kurz gut kennt.

Strolz selbst wollte Politik gestalten, also entscheide­n, das Land verändern. Das ist ihm mit dem zweimalige­n Einzug der Neos in den Nationalra­t gelungen. Der für ihn zweite logische Schritt, der Einstieg als (Bildungs-)Minister in eine Bundesregi­erung, ist in weite Ferne gerückt. Das weiß er, daher geht er, wenn es offiziell noch am schönsten ist und für ihn am langweilig­sten wird. Mit dem Ausstieg jetzt könnte er notfalls in ein paar Jahren zurückkehr­en, sollte das Projekt ins Schlingern geraten und sollten die entspreche­nden Hilferufe ertönen. A ber vielleicht ist der Schritt eine gute Sache: Die Fokussieru­ng auf den geistreich­en Spitzenman­n hat mitunter von der wahren Gretchenfr­age für Partei und Land abgelenkt: „Wie hältst du es mit dem Liberalism­us?“„Manchmal zu wenig“, lautet die Antwort für die Neos, viel zu wenig für Österreich. Die Strolz-Nachfolger(innen) mögen diese Frage beherzigen. Österreich braucht eine liberale Partei. Egal, wie sich deren Spitzenver­treter gerade fühlen.

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