Vergewaltigt und angezündet
Indien. Immer wieder erschüttern brutale Vergewaltigungsfälle Indiens Öffentlichkeit: Bisher konnten aber weder Proteste noch Androhung härterer Strafen die Lage verbessern.
Neu-Delhi/Wien. Das 16 Jahre alte Mädchen war abends allein zuhause, als die Männer ins Haus einbrachen, sie entführten und im nahegelegenen Wald vergewaltigten. Weil sich die Eltern an den Dorfrat wandten – in vielen ländlichen Kommunen nach wie vor die Autorität im Dorf –, rächten sich die Beschuldigten. Die Eltern wurden verprügelt, das Vergewaltigungsopfer mit Kerosin übergossen und bei lebendigem Leibe verbrannt. 14 Männer wurden am gestrigen Montag im ostindischen Staat Jharkhand verhaftet. Der Haupttäter – so heißt es – sei noch auf der Flucht.
Dieser jüngste Fall steht stellvertretend für so viele andere: Kaum eine Woche vergeht ohne Meldungen von brutalen Vergewaltigungen, die nicht nur in Indien für Schlagzeilen sorgen, sondern auch international Aufmerksamkeit erregen. Sexuelle Gewalt, in erster Linie gegen Minderjährige, scheint in Indien ein Dauerproblem zu sein.
Erstmals wurde die Öffentlichkeit im Dezember 2012 auf das Thema aufmerksam: Damals wurde die Medizinstudentin Jyoti Singh Pandey in einem Bus in Neu Delhi von sechs Männern vergewaltigt und starb knapp zwei Wochen später an den Verletzungen. Ihr Tod löste in Indien eine Protestwelle aus, zornige Menschen gingen auf die Straße. Was folgte, war eine Verschärfung des Sexualstrafrechts. Die Zahl der Verge-
wurden nach Polizeiangaben 38.947 Vergewaltigungsfälle angezeigt. 6091 Opfer waren zwischen zwölf und 16 Jahre alt, 1596 zwischen sechs und zwölf und 570 jünger als sechs Jahre. Die Dunkelziffer dürfte sehr hoch sein. In der überwiegenden Mehrheit der Fälle stammt der Täter aus dem Umfeld des Opfers. Derzeit gibt es mehr als 110.000 ungeklärter Fälle von Sexualverbrechen gegen Kinder. waltigungen ging seitdem aber nicht zurück. Im Jahr 2016 wurden nach Polizeiangaben 38.947 Vergewaltigungsfälle angezeigt. 6091 Opfer waren zwischen zwölf und 16 Jahre alt, 1596 zwischen sechs und zwölf, und 570 jünger als sechs Jahre.
Kinderrechtler bemängeln, dass die Opfer von Polizei und Justiz oft nicht ernst genommen würden und viel zu lange auf einen Prozess warten müssten. Erst Ende April beugte sich die indische Regierung dem Druck der Straße und stellte die Vergewaltigung von Kindern unter zwölf Jahren unter Todesstrafe. Die Gesetzesänderung muss noch vom Parlament bestätigt werden.
Bei der Ursachenforschung führen Experten immer wieder ein Faktum ins Treffen: das Ungleichgewicht der Geschlechterverteilung. In Indien kommen auf 100 neugeborene Mädchen 112 Buben (anstatt weltweit 105). Durch die selektive – und illegale – Abtreibung von weiblichen Föten fehlen Indien 63 Millionen Frauen. In dem an die indische Hauptstadt Delhi angrenzenden Bundesstaat Haryana ist das Geschlechterverhältnis noch unausgeglichener – Haryana ist auch der Bundesstaat mit der höchsten Anzahl an Gruppenvergewaltigungen (2017: 115 Fälle).
Laut Aktivisten seien die Ursachen aber in der indischen Gesellschaft an sich zu suchen: In Indien sei sexuelle Gewalt gegenüber Frauen gesellschaftlich tief verankert und Teil einer umfassenden Benachteiligung und Unterdrückung. Diese schließe auch Polizei und Justiz mit ein, so die Frauchenrechtlerin Ranjana Kumari, Leiterin des Centre of Social Research in Delhi, in einem Interview mit dem britischen „Guardian“. Den Tätern fehle oft jegliches Schuldbewusstsein, sie fühlten sich im Recht. Die Opfer würden zu Tätern gemacht: Welche Kleidung hatte die Frau an? Warum war sie allein auf der Straße unterwegs?
Von der Einführung der Todesstrafe halten Menschenrechtsaktivisten wenig: In der von Männern dominierten Gesellschaft Indiens würde Vergewaltigung auch weiterhin als Instrument der Machtdemonstration eingesetzt, heißt es. Auch die Brutalität schockiert: Viele Opfer werden nicht nur vergewaltigt, sondern auch schwer verletzt oder ermordet, um die Täter nicht anzeigen oder identifizieren zu können.
Erst in der Vorwoche war der Fall einer Touristin aus Litauen bekannt geworden. Sie war Mitte März im Bundesstaat Kerala auf dem Weg zum Strand verschwunden. Ende April wurde ihre Leiche in einem Wald entdeckt: Sie war unter Drogen gesetzt, mehrmals vergewaltigt und dann erdrosselt worden. Um die Tat wie einen Selbstmord aussehen zu lassen, hatten die Täter die 32-Jährige an einen Baum geknüpft. (zoe)