Die Tote im Park
An
einem Morgen vorige Woche übergoss sich eine 53-jährige Frau im Brüsseler Tenbosch-Park mit Benzin und zündete sich an. Sie habe zuletzt an starken Depressionen gelitten, zitierte eine Zeitung Verwandte. Das Benzin hatte sie bei einer Tankstelle gegenüber des Parks gekauft. Wenig hätte gefehlt, und ich wäre Augenzeuge dessen geworden. Ich war an diesem Morgen mit meiner Tochter im Tenbosch-Park, ein grünes Juwel Brüssels, er liegt gleich neben unserer Wohnung. Nur wenige Minuten, bevor bei der Polizei der Notruf eingegangen war, hatten wir dort noch gespielt. Als ich, in der nahen Putzerei eine Rechnung begleichend, Rettung und Feuerwehr vorbeiheulen hörte, erklärte ich meiner Tochter, das seien sehr wichtige Autos, die den Menschen helfen, wenn sie einen Unfall haben. Wie hätte ich wissen können, dass es hier nichts mehr zu helfen gab? Was hätte ich der Zweijährigen gesagt, wenn vor ihren Augen eine Frau in Flammen aufgegangen wäre?
Im Internet fand ich verstreute Anekdoten aus dem Leben dieser unglücklichen Dame. Sie war Hobbykünstlerin, malte Bilder, fertigte Skulpturen. 2009 kandidierte sie bei den Gemeinderatswahlen von Brüssel für eine Liste namens Velorution!´ und erhielt zwei Stimmen. Vor einigen Jahren schien sie ein Interesse an fernöstlicher Meditation entwickelt zu haben. Sie hatte einen Hund; was ist wohl aus ihm geworden?
Jeder Suizid ist erschütternd, aber ich glaube, wir halten das meist für eine diskrete Abgründigkeit, die im Badezimmer stattfindet, an einer entlegenen Klippe, in einem tiefen See. Was jedoch treibt einen Menschen dazu, sich an einem lieblichen Ort wie diesem Park öffentlich auf so grausame Weise das Leben zu nehmen?
Wenn ich diese Zeilen abgeschickt habe, werde ich wie jeden Arbeitstag meine Tochter aus der Kinderkrippe abholen. Wir werden in den Tenbosch-Park spazieren, in der Sandkiste wühlen, das Klettergerüst erklimmen. Und ich werde an diesen Satz denken, den mir das Internet neulich zugespült hat: „Sei freundlich, denn jeder, den du triffst, führt einen Kampf, von dem du nichts weißt.“