Die Presse

Die Tote im Park

- VON OLIVER GRIMM E-Mails an: oliver.grimm@diepresse.com

An

einem Morgen vorige Woche übergoss sich eine 53-jährige Frau im Brüsseler Tenbosch-Park mit Benzin und zündete sich an. Sie habe zuletzt an starken Depression­en gelitten, zitierte eine Zeitung Verwandte. Das Benzin hatte sie bei einer Tankstelle gegenüber des Parks gekauft. Wenig hätte gefehlt, und ich wäre Augenzeuge dessen geworden. Ich war an diesem Morgen mit meiner Tochter im Tenbosch-Park, ein grünes Juwel Brüssels, er liegt gleich neben unserer Wohnung. Nur wenige Minuten, bevor bei der Polizei der Notruf eingegange­n war, hatten wir dort noch gespielt. Als ich, in der nahen Putzerei eine Rechnung begleichen­d, Rettung und Feuerwehr vorbeiheul­en hörte, erklärte ich meiner Tochter, das seien sehr wichtige Autos, die den Menschen helfen, wenn sie einen Unfall haben. Wie hätte ich wissen können, dass es hier nichts mehr zu helfen gab? Was hätte ich der Zweijährig­en gesagt, wenn vor ihren Augen eine Frau in Flammen aufgegange­n wäre?

Im Internet fand ich verstreute Anekdoten aus dem Leben dieser unglücklic­hen Dame. Sie war Hobbykünst­lerin, malte Bilder, fertigte Skulpturen. 2009 kandidiert­e sie bei den Gemeindera­tswahlen von Brüssel für eine Liste namens Velorution!´ und erhielt zwei Stimmen. Vor einigen Jahren schien sie ein Interesse an fernöstlic­her Meditation entwickelt zu haben. Sie hatte einen Hund; was ist wohl aus ihm geworden?

Jeder Suizid ist erschütter­nd, aber ich glaube, wir halten das meist für eine diskrete Abgründigk­eit, die im Badezimmer stattfinde­t, an einer entlegenen Klippe, in einem tiefen See. Was jedoch treibt einen Menschen dazu, sich an einem lieblichen Ort wie diesem Park öffentlich auf so grausame Weise das Leben zu nehmen?

Wenn ich diese Zeilen abgeschick­t habe, werde ich wie jeden Arbeitstag meine Tochter aus der Kinderkrip­pe abholen. Wir werden in den Tenbosch-Park spazieren, in der Sandkiste wühlen, das Kletterger­üst erklimmen. Und ich werde an diesen Satz denken, den mir das Internet neulich zugespült hat: „Sei freundlich, denn jeder, den du triffst, führt einen Kampf, von dem du nichts weißt.“

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