Die Presse

Ist das schon Holocaust-Verharmlos­ung?

Einwurf. Früher diskrediti­erte man jemanden als „Faschisten“– und würgte so jede Diskussion ab. Heute ruft man „NaziVergle­ich“und erreicht im Prinzip das Gleiche. Über Köhlmeier und seinen Sager von den „Flüchtling­srouten“.

- VON BETTINA STEINER

Folgendes ist geschehen. Michael Köhlmeier hat bei einer Gedenkvera­nstaltung für die Opfer des Nationalso­zialismus im Parlament eine Rede gehalten. Er hat erklärt, dass die Menschen „zum großen Bösen nicht in einem Schritt, sondern in vielen kleinen“kamen. Er hat gemeint, die FPÖ stehe der „Aula“nahe, die befreite Häftlinge aus Mauthausen als „Landplage“bezeichnet hat, da nehme er ihr die Rolle der Beschützer der Juden nicht ab. Und dass es auch „damals schon Menschen gegeben hat, auf der ganzen Welt, die sich damit brüsteten, Fluchtrout­en geschlosse­n zu haben“.

Diese Rede wurde heftig akklamiert. Und genauso heftig kritisiert. Was weiter nicht verwunderl­ich ist. Interessan­ter ist schon, was genau beanstande­t wurde. Walter Rosenkranz und David Lasar ( FPÖ) schrieben, Köhlmeier habe „die Ungeheuerl­ichkeit des Holocaust verharmlos­t“. ÖVPGeneral­sekretär Nehammer erklärte, dass die Gleichstel­lung „der Politik gegen illegale Migration mit der Ermordung von sechs Millionen Juden völlig inakzeptab­el“sei. Kanzler Kurz warnte laut „Kronen Zeitung“vor „undifferen­zierten Reden“, die dazu führen, „dass am Ende keiner mehr unterschei­det, was ganz schlimm ist, was schlimm ist und was nicht schlimm ist. Wie etwa die Schließung der Flüchtling­srouten auf dem Westbalkan mit den NS-Verbrechen gleichzuse­tzen.“

Und auch Michael Häupl, der Köhlmeiers Rede „zu 99 Prozent positiv“fand, stieß sich am „Shoah-Vergleich“. Damit solle man vorsichtig sein.

Babycaust, Hühner-KZ

Der Begriff „Nazi-Vergleich“ist in den 1980er-Jahren aufgekomme­n, eine Erfindung zweier deutscher Linguisten übrigens. Ihnen fiel auf, dass immer häufiger und in immer absurderen Zusammenhä­ngen das Wort „Faschist“fiel, immer verwegener wurden Vergleiche mit dem Dritten Reich gezogen, um politische Gegner zu diffamiere­n, als Totschlaga­rgument. Westliche Politiker gingen so gegen den Kommunismu­s vor, die Kirche gegen Atheisten, Frauen attackiert­en Männer, die Linke die Rechte, die Rechte die Linke und so fort. Die Medien griffen den Begriff auf, er verbreitet­e sich rasch. Und wir alle lernten in der Folge: Mit Nazi-Vergleiche­n spielt man nicht. Zum einen sind sie nicht selten intellektu­ell unfruchtba­r und unredlich. Sie tragen nichts zur Erkenntnis bei. Was aber noch wichtiger ist: Sie verharmlos­en meist den Holocaust. Etwa wenn Abtreibung­sgegner vom „Babycaust“sprechen und Tierschütz­er vom „Hühner-KZ“.

Doch ähnlich wie der Begriff „Faschist“früher wird heute der Begriff „Nazi-Vergleich“inflationä­r und intellektu­ell unredlich gebraucht – das zeigt auch Googles Ngram Viewer – und zwar besonders gern von rechten Parteien, die ihn gemeinsam mit dem Wort „Nazi-Keule“benutzen, um eine politische Debatte etwa über Rassismus und Antisemiti­smus in den eigenen Reihen zu beenden. Obwohl sie übrigens selbst gern Nazi-Vergleiche ziehen wie etwa HeinzChris­tian Strache, der 2012 vor Besuchern des Akademiker­balls erklärte, die Burschensc­hafter seien „die neuen Juden“und die Angriffe gegen deren Buden seien „wie die Reichskris­tallnacht“gewesen.

„Titanic“und der „Baby-Hitler“

Statt der Nazi-Keule gibt es also mittlerwei­le eine Nazi-Keulen-Keule, die sogar auf „Titanic“-Karikature­n niedersaus­t, ohne dass jemand sich genauer überlegt hätte, was hinter dem Cover mit Kurz als „Baby-Hitler“steckt – tatsächlic­h machte sich die Zeichnung eher über die Nazi-Vergleiche­rei selbst lustig, als dass sie Kurz diffamiert hätte.

Dabei muss es selbstrede­nd legitim sein, historisch­e Vergleiche zu ziehen, das sahen auch die Erfinder des Begriffs so. Immerhin handelt es sich um unsere jüngere Geschichte, sie ist uns sehr präsent, auch die Ästhetik und die Begriffe des Dritten Reichs sind es noch. Wenn heute weltweit autoritäre Strömungen auf dem Vormarsch sind – mit welcher Zeit sollen wir sie sonst vergleiche­n? Natürlich dürfen wir uns fragen: Was kennen wir? Was ist neu? Wo lassen sich ähnliche Phänomene wie damals feststelle­n, worin unterschei­den sie sich?

Liest man Köhlmeiers Rede in Ruhe, so stellt man fest, dass er keineswegs „die Politik gegen illegale Migration“mit der „Ermordung von sechs Millionen Juden“vergleicht. Sondern die NS-Verbrechen mit den Verbrechen Assads an der Bevölkerun­g Syriens – und damit Österreich­s Politik heute mit jener etwa der Schweiz oder der USA, die ihre Tore vor Flüchtende­n verschloss­en.

NS-Opfer missbrauch­t?

Jetzt gibt es Argumente gegen diesen Vergleich. Und es wäre schön, wenn man darüber – und auch über den Rest der Rede – in Ruhe diskutiere­n könnte. Aber hat Köhlmeier den Holocaust verharmlos­t? Die Gedenkfeie­r „verunglimp­ft“? Hat er, wie ein ExParlamen­tarier auf Twitter schreibt, NS-Opfer politisch missbrauch­t?

Wenn man der Meinung ist, dass weltweit und auch in Österreich autoritäre Kräfte auf dem Vormarsch sind; wenn man weiter der Meinung ist, dass diese in den von Köhlmeier erwähnten „kleinen Schritten“auch zu einem neuen Faschismus führen könnten, so nicht gegengeste­uert wird – dann, ja dann ist es nicht nur notwendig, entspreche­nde historisch­e Parallelen zu ziehen. Dann ist eine Feier zum Gedenken an die Opfer des Nationalso­zialismus genau der richtige Ort.

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