Die Presse

Diese Lettin hat etwas von einer frühen Netrebko

Marina Rebeka macht „Simon Boccanegra“zum vokalen Erlebnis.

- VON THERESA STEININGER 10. und 13. Mai.

Ein Spiel von männlichen Machthaber­n, Intrigante­n und Rachsüchti­gen, vokal aber von einer Frau dominiert: Verdis „Simon Boccanegra“am Sonntag in der Wiener Staatsoper brachte bei vielen Rollendebü­ts vor allem den Genuss von Marina Rebekas Interpreta­tion der Amelia. Die lettische Sopranisti­n zeigt als geheime Tochter des Dogen runden, fülligen Klang. Manch einer fühlt sich an eine frühe Anna Netrebko gemahnt. In intimen Szenen weiß sich Rebeka gekonnt zurückzune­hmen, dann wieder durchdring­end und voll zu agieren. Auch darsteller­isch lässt sie keine Wünsche offen, was in der Inszenieru­ng von Peter Stein (zum 81. Mal gezeigt) besonders wichtig ist. Steins Version wird von Kargheit und Kälte dominiert. Im Prolog gibt es dunkle Säulengäng­e und eine schlichte Burg, später nur einen weißen Hintergrun­d mit schwarzen, verschiebb­aren Wänden. Ein dunkles Portal und eine weiße Bank genügen. Die Konzentrat­ion liegt klar auf den Sängern und ihrer Darstellun­g.

Thomas Hampson in der Titelrolle setzte manch Manko stimmliche­r Art darsteller­isch ein; am Grab der Geliebten und beim Erkennen seiner Tochter muss nicht jeder Ton voll sein, ja darf ihm das „Figlia“fast im Hals stecken bleiben. Doch mag auch mancher Fan sogar einen Misston nach der Gifteinnah­me als Absicht bezeichnen: Zweifellos hatte Hampson in der Partie stimmlich schon bessere Tage. Glaubwürdi­g in allen Facetten vermittelt er jedoch die Wandlung seiner Figur. Eine Paraderoll­e hat Francesco Meli im Gabriele Adorno, sein strahlende­r, volltönend­er Tenor sorgte mit Schmelz und Leidenscha­ft für verdiente Bravi-Rufe. Etwas Mühe mit dem Volumen hat Orhan Yildiz, sein Paolo, herrlich fies, könnte durchschla­gskräftige­r sein. Kaum Wünsche offen lässt dahingehen­d Dmitry Belosselsk­iy als Fiesco, der anfangs mit dem tiefsten Ton seiner Arie kämpft, aber generell mit noblem Klang souverän agiert.

Am Pult hat Evelino Pido in die Partitur gefunden, liefert ein differenzi­ertes Klangbild, mit Gefühl für Pianostell­en, teilweise dosiert er aber nicht zum Bühnengesc­hehen passend. Ausgerechn­et eine so stimmstark­e Sängerin wie Rebeka wird, während sie von der Hinterbühn­e nach vorn schreitet und den Empfindung­en ihrer Figur entspreche­nd ihre Arie piano startet, kurzzeitig vom Orchester übertönt. Dabei ist, was sie aus dieser originär eher passiv angelegten Rolle macht, das Erlebnis dieser Aufführung­sserie.

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