Ein Schmierendrama hinter schwedischen Akademiegardinen
Eine derart klägliche Jury wie die Schwedische Akademie schadet nicht nur dem eigenen Ansehen, sondern in erster Linie auch dem Nobelpreis für Literatur.
Aus dem literarischen Elfenbeinturm, der vor mehr als 100 Jahren auf dem Fundament des Stifters Alfred Nobel in Stockholm errichtet wurde, dringen derzeit wenig erbauliche Nachrichten. Sogar das traditionelle Erbsensuppentreffen, das angeblich alldonnerstäglich im Gasthaus mit dem vielsagenden Namen „Zum Goldenen Frieden“stattgefunden haben soll, ist bis auf Weiteres abgesagt.
Sicher, gestritten hat man in dem 18-köpfigen, auf Lebzeit bestellten obersten Literaturgericht vulgo Schwedische Akademie hinter schalldicht verschlossenen Türen schon öfter. Als der Iran 1989 über Salman Rushdie wegen seines Romans „Die satanischen Verse“das Todesurteil verhängte, und das weltweit wichtigste literarische Gremium zunächst erschreckt schwieg, weil man schließlich den Unmut der Ayatollahs tunlichst nicht nach Schweden umleiten wollte, legten zwei Jury-Mitglieder aus Protest ihr Amt nieder. Mut braucht, ebenso wie gut Ding, offenbar Weile: Immerhin nur schlappe 27 Jahre danach verurteilte die Akademie die Fatwa doch noch.
Den Literaturnobelpreis bekam Rushdie übrigens nie, wohl aber 1997 der italienische Schauspieler, Satiriker, Moralist, Theatergründer und -autor Dario Fo, weil er, so die Jury-Begründung, „in Nachfolge der mittelalterlichen Gaukler die Macht geißelt und die Würde der Schwachen und Gedemütigten wieder aufrichtet“. Jemanden, der für die Wiederherstellung der Würde sorgt und ausufernde Macht geißelt, könnte Stockholm dieser Tage auch dringend brauchen.
Denn was die mittlerweile mehrheitlich zurückgetretenen Mitglieder und schütter verbliebenen Restbestände keiner ehrenwerten Literatur-Gesellschaft hinter schwedischen Akademiegardinen aufführen, ist ein empörend mieses Schmierendrama über (Männer-)Seilschaften, Geheimbündeleien, Machogehabe, sexuelle Übergriffe, Gier, eitle Hybris, üble Nachrede, Korruption, sektenartige Klüngelei, giftige Melangen privater und beruflicher Sphären, Missgunst, Geldschiebereien und grenzenlose Eitel- keit. 18 Frauen aus dem näheren und weiteren Umfeld der Akademie hatten geklagt, dass sie vom Ehemann eines Akademiemitglieds sexuell bedrängt und/oder missbraucht worden wären.
Angeblich konnte der feine Herr seine Pfoten nicht einmal bei Prinzessin Victoria im Zaum halten. Für seinen Kulturverein schanzte ihm seine liebe (und mittlerweile zurückgetretene) Frau außerdem freihändig Gelder der Akademie zu, die neben der Literaturnobelpreisvergabe bekanntlich auch Stipendien und Forschungsgelder verteilt. Unnobel geht der Preis zugrunde: Liebe Krimiautoren und TV-Serienentwickler, an die Arbeit! Aus dem Stoff ließen sich gleich mehrere Straßenfeger in Serie schneidern.
Eine derart klägliche Jury schädigt das eigene Ansehen, vor allem aber den Nobelpreis, der nach dem Willen des Stifters Alfred Nobel denjenigen zuerkannt werden sollte, die „der Menschheit den größten Nutzen geleistet und das Vorzüglichste in idealistischer Richtung geschaffen“haben.
Gut, dass er nun für ein Jahr ausgesetzt wird. Nicht nur die Jury, auch das Auswahlverfahren an sich – 18 Schweden, die als gottähnliche Juroren mit nobler Diskretion die gesamte Weltliteratur im Blick haben, um die Preisträger zu ermitteln – ist optimierbar. 99 Männer, aber nur 14 Frauen, zum überwiegenden Teil aus Europa und Nordamerika, erhielten seit 1901 diesen mit rund 760.000 Euro höchst dotierten Preis. Das Auswahlprozedere unterliegt, ebenso wie die Namen der unterlegenen Kandidaten, einer 50-jährigen Sperrfrist.
Bestenfalls könnte die Krise in Stockholm dazu beitragen, die Vergabe 117 Jahre nach Gründung transparenter und nachvollziehbarer zu gestalten. Dann erführe man beispielsweise endlich auch, warum dem jahrzehntelang haushoch favorisierten Philip Roth der Literaturnobelpreis bisher so hartnäckig verweigert wurde. An seinem literarischen Werk kann es jedenfalls nicht liegen.