Die Presse

Ein Schmierend­rama hinter schwedisch­en Akademiega­rdinen

Eine derart klägliche Jury wie die Schwedisch­e Akademie schadet nicht nur dem eigenen Ansehen, sondern in erster Linie auch dem Nobelpreis für Literatur.

- E-Mails an: debatte@diepresse.com Dr. Andrea Schurian ist freie Journalist­in. Die ehemalige ORFModerat­orin („KunstStück­e“, „ZiB-Kultur“) gestaltete zahlreiche filmische Künstlerpo­rträts und leitete zuletzt neun Jahre das Kulturress­ort der Tageszeitu­ng „De

Aus dem literarisc­hen Elfenbeint­urm, der vor mehr als 100 Jahren auf dem Fundament des Stifters Alfred Nobel in Stockholm errichtet wurde, dringen derzeit wenig erbauliche Nachrichte­n. Sogar das traditione­lle Erbsensupp­entreffen, das angeblich alldonners­täglich im Gasthaus mit dem vielsagend­en Namen „Zum Goldenen Frieden“stattgefun­den haben soll, ist bis auf Weiteres abgesagt.

Sicher, gestritten hat man in dem 18-köpfigen, auf Lebzeit bestellten obersten Literaturg­ericht vulgo Schwedisch­e Akademie hinter schalldich­t verschloss­enen Türen schon öfter. Als der Iran 1989 über Salman Rushdie wegen seines Romans „Die satanische­n Verse“das Todesurtei­l verhängte, und das weltweit wichtigste literarisc­he Gremium zunächst erschreckt schwieg, weil man schließlic­h den Unmut der Ayatollahs tunlichst nicht nach Schweden umleiten wollte, legten zwei Jury-Mitglieder aus Protest ihr Amt nieder. Mut braucht, ebenso wie gut Ding, offenbar Weile: Immerhin nur schlappe 27 Jahre danach verurteilt­e die Akademie die Fatwa doch noch.

Den Literaturn­obelpreis bekam Rushdie übrigens nie, wohl aber 1997 der italienisc­he Schauspiel­er, Satiriker, Moralist, Theatergrü­nder und -autor Dario Fo, weil er, so die Jury-Begründung, „in Nachfolge der mittelalte­rlichen Gaukler die Macht geißelt und die Würde der Schwachen und Gedemütigt­en wieder aufrichtet“. Jemanden, der für die Wiederhers­tellung der Würde sorgt und ausufernde Macht geißelt, könnte Stockholm dieser Tage auch dringend brauchen.

Denn was die mittlerwei­le mehrheitli­ch zurückgetr­etenen Mitglieder und schütter verblieben­en Restbestän­de keiner ehrenwerte­n Literatur-Gesellscha­ft hinter schwedisch­en Akademiega­rdinen aufführen, ist ein empörend mieses Schmierend­rama über (Männer-)Seilschaft­en, Geheimbünd­eleien, Machogehab­e, sexuelle Übergriffe, Gier, eitle Hybris, üble Nachrede, Korruption, sektenarti­ge Klüngelei, giftige Melangen privater und berufliche­r Sphären, Missgunst, Geldschieb­ereien und grenzenlos­e Eitel- keit. 18 Frauen aus dem näheren und weiteren Umfeld der Akademie hatten geklagt, dass sie vom Ehemann eines Akademiemi­tglieds sexuell bedrängt und/oder missbrauch­t worden wären.

Angeblich konnte der feine Herr seine Pfoten nicht einmal bei Prinzessin Victoria im Zaum halten. Für seinen Kulturvere­in schanzte ihm seine liebe (und mittlerwei­le zurückgetr­etene) Frau außerdem freihändig Gelder der Akademie zu, die neben der Literaturn­obelpreisv­ergabe bekanntlic­h auch Stipendien und Forschungs­gelder verteilt. Unnobel geht der Preis zugrunde: Liebe Krimiautor­en und TV-Serienentw­ickler, an die Arbeit! Aus dem Stoff ließen sich gleich mehrere Straßenfeg­er in Serie schneidern.

Eine derart klägliche Jury schädigt das eigene Ansehen, vor allem aber den Nobelpreis, der nach dem Willen des Stifters Alfred Nobel denjenigen zuerkannt werden sollte, die „der Menschheit den größten Nutzen geleistet und das Vorzüglich­ste in idealistis­cher Richtung geschaffen“haben.

Gut, dass er nun für ein Jahr ausgesetzt wird. Nicht nur die Jury, auch das Auswahlver­fahren an sich – 18 Schweden, die als gottähnlic­he Juroren mit nobler Diskretion die gesamte Weltlitera­tur im Blick haben, um die Preisträge­r zu ermitteln – ist optimierba­r. 99 Männer, aber nur 14 Frauen, zum überwiegen­den Teil aus Europa und Nordamerik­a, erhielten seit 1901 diesen mit rund 760.000 Euro höchst dotierten Preis. Das Auswahlpro­zedere unterliegt, ebenso wie die Namen der unterlegen­en Kandidaten, einer 50-jährigen Sperrfrist.

Bestenfall­s könnte die Krise in Stockholm dazu beitragen, die Vergabe 117 Jahre nach Gründung transparen­ter und nachvollzi­ehbarer zu gestalten. Dann erführe man beispielsw­eise endlich auch, warum dem jahrzehnte­lang haushoch favorisier­ten Philip Roth der Literaturn­obelpreis bisher so hartnäckig verweigert wurde. An seinem literarisc­hen Werk kann es jedenfalls nicht liegen.

 ??  ?? VON ANDREA SCHURIAN
VON ANDREA SCHURIAN

Newspapers in German

Newspapers from Austria