Leitartikel von Christian Ultsch
Mit ihrem Angriff auf Israel gaben Irans Hardliner eine Ahnung, wie es nach dem Atomdeal-Ende weitergehen könnte. Trump hat den Westen gespalten.
I n Moskau und Peking wird man sich die Hände reiben. Der Westen ist gespalten wie seit dem unseligen Irak-Krieg 2003 nicht mehr. Mit seinen Alleingängen treibt US-Präsident Donald Trump einen immer tieferen Keil in die transatlantische Allianz. Die Europäer haben es mit gutem Zureden und Schmeicheleien versucht. Doch Trump tritt eine internationale Vereinbarung nach der anderen in die Tonne: erst das noch nicht rechtswirksame Freihandelsabkommen TTIP, dann den Pariser Klimavertrag und jetzt den Wiener Atomdeal mit dem Iran.
Der Populist im Weißen Haus agiert, als könnte er die ganze Welt nach seiner Pfeife zum Tanzen bringen und alles neu (unter)ordnen, wie er es in seinem Wahlkampf töricht versprochen hat. Doch das spielt es nicht mehr. Und wenn Trump hundert Mal „Amerika zuerst“ruft, mit seinem egozentrischen Ansatz schwächt er nur die Position der USA in der Welt.
Langsam verlieren die europäischen Verbündeten die Geduld. „Europa muss sein Schicksal in die eigene Hand nehmen“, erklärte die deutsche Kanzlerin Angela Merkel in ihrer Laudatio auf den heurigen Karlspreisträger, den französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron.
Viel mehr als ein Pfeifen im Wald ist das jedoch nicht. Denn noch hat Europa weder den Willen noch die politische und militärische Kapazität, um in diesen unruhigen Zeiten auf eigenen Beinen zu stehen. Es bleibt angewiesen auf den erratischen Onkel in Amerika. Theoretisch könnte die US-Aufkündigung des Iran-Deals eine Zäsur markieren. Trotzig erklärten die europäischen Unterzeichnerstaaten Frankreich, Deutschland und Großbritannien, sich weiter an die Vereinbarung halten zu wollen. Irans Regierung spielte zunächst mit, ebenso natürlich Russland und China. Es war für sie eine prächtige Gelegenheit, die USA diplomatisch zu isolieren und den Westen auseinanderzudividieren. Doch in Wirklichkeit wird das Atomabkommen nur noch künstlich am Leben erhalten. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Hardlinerfraktion in Teheran den Stecker zieht.
Die Revolutionsgarden gaben bereits in der Nacht auf Donnerstag einen deutlichen Hinweis darauf, in welche Richtung die Reise geht. Es war kein Zufall, dass sie nur wenige Stunden nach dem Todesstoß für den Atomdeal von Syrien aus 20 Raketen auf den israelisch besetzten Golan abfeuerten. Das Timing für die Vergeltung, die der Iran schon Anfang April nach israelischen Angriffen auf einen iranischen Stützpunkt in Syrien geschworen hatte, war bewusst gewählt. Weniger einkalkuliert war vermutlich die massive Antwort aus Israel.
Die große Frage ist nun, ob das erst der Anfang eines großen Krieges ist, den der Iran auch noch an einer zweiten und dritten Front führen könnte: im Südlibanon und in den Palästinensergebieten. Der Startschuss für die nächste Runde der Konfrontation könnte erfolgen, wenn die USA ihre Botschaft in ein paar Tagen nach Jerusalem verlegen. Kriege in Syrien und Jemen, und jetzt das. Seit Jahren war die Situation im Nahen Osten nicht so angespannt wie jetzt. Und Donald Trump hat das Risiko wie ein manischer Hasardeur erhöht. D och ihm allein ist das drohende Fiasko nicht anzulasten. Die internationale Diplomatie hat nach dem Atomabkommen sträflich versagt. Anstatt die Dynamik zu nutzen und mit aller Macht auf ein Grand Bargain zwischen den schiitischen und sunnitischen Mächten zu drängen, ließ man die Dinge treiben. Der Iran hielt sich zwar brav an das Nuklearabkommen, baute aber gleichzeitig sein Raketenprogramm und seinen militärischen Einfluss zwischen dem Jemen und Syrien aggressiv aus. Das war für Israel, Saudiarabien und auch Trump am Ende inakzeptabel.
Eine schlüssige Strategie scheinen sie jedoch nicht zu haben. Das Ende des Atomabkommens wird den Iran kaum mäßigen, im Gegenteil: Sollte sich der Eindruck verfestigen, dass Trump einen Regimewechsel in Teheran anstrebt, werden die Mullahs sicher nicht freiwillig abdanken, sondern ihr Atomprogramm wieder voll hochfahren und die Stellvertreterkriege in der Region weiter anheizen – mit allen Folgen für den Ölpreis und die Weltwirtschaft. Europa wird dabei zahlender Zuschauer sein.