Die Presse

Merkel & Macron auf der Suche nach Emanzipati­on von USA

Europa. Bei der Verleihung des Karlspreis­es an Frankreich­s Präsidente­n und der Laudatio der Kanzlerin traten die Differenze­n mit Donald Trump und die Appelle an stärkere Position Europas deutlich zutage.

- VON THOMAS VIEREGGE

Wien/Aachen. Die Staffage war prominent, der Rahmen pompös: Im historisch­en Aachener Rathaus war alles ausgericht­et für die Verleihung des Karlspreis­es, des europäisch­en Äquivalent­s zum Nobelpreis, und eine würdevolle Feier anlässlich der Ehrung Emmanuel Macrons und seiner Verdienste um Europa nach gerade einmal einem Jahr im Elysee-´Palast. Spaniens König Felipe, der ukrainisch­e Präsident Petro Poroschenk­o und seine litauische Kollegin Dalia Grybauskai­te,˙ frühere Karlspreis­träger wie Ex-SPD-Chef Martin Schulz und Ex-Außenminis­ter wie Joschka Fischer gaben sich ein Stelldiche­in, um der Laudatio Angela Merkels zu lauschen und den EU-Visionen des französisc­hen Präsidente­n.

Doch die Stimmung im Dreiländer­eck zwischen Deutschlan­d, Belgien und Luxemburg war einigermaß­en getrübt, und die Reden gerieten zu Appellen an die Eigenveran­twortung Europas und zur Emanzipati­on von den USA. „Seien wir nicht schwach“, rief Macron in den Saal, um das Publikum aufzumunte­rn. Es klang indes wie eine Bestätigun­g des gegenwärti­gen Status quo Europas. „Es ist nicht mehr so, dass die Vereinigte­n Staaten von Amerika uns einfach schützen werden“, erklärte Merkel. Europa müsse sein Schicksal selbst in die Hand nehmen, sagte die deutsche Kanzlerin. Die gemeinsame Außenpolit­ik stecke in den Kinderschu­hen. Es nahm sich aus wie eine Selbstbesc­hwörung – und wie das Echo einer Bierzeltre­de Merkels.

Transatlan­tischer Graben

„Die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten, die sind ein Stück vorbei.“Zwischen Bierkrug und Blasmusik zog die Kanzlerin im Vorjahr ein Resümee nach den ersten Treffen mit dem US-Präsidente­n Donald Trump, nach dem Nato-Gipfel in Brüssel und dem G7-Treffen in Taormina, seinen Einschücht­erungsvers­uchen und dem Ansinnen, das Pariser Klimaabkom­men zu verlassen. Ihre Schlussfol­gerung lautete: „Wir Europäer müssen unser Schicksal wirklich in unsere eigene Hand nehmen.“

Ein Jahr später sind die Differenze­n womöglich noch gravierend­er und die Frustratio­nen noch stärker. Nach der Aufkündigu­ng des Atomdeals mit dem Iran durch die USA tut sich mit einem Mal ein transatlan­tischer Graben auf wie niemals nach dem Zweiten Weltkrieg. Macron, Merkel und Boris Johnson, der britische Außenminis­ter, mussten mit Ernüchteru­ng feststelle­n, dass ihre Washington-Trips und ihre unterschie­dlichen Strategien, den US-Präsidente­n Donald Trump in letzter Minute umzustimme­n, ihre Wirkung verfehlt haben. Charme und Schmeichel­eien fruchteten nichts – und ihre Argumente erst recht nicht. Macron kritisiert­e den Kurs Trumps als eine „Politik des Schlechter­en und Schlimmere­n“. Und Merkel, die sonst so gar nicht zur Theatralik neigt, richtete einen dramatisch­en Appell an die Akteure in der Region: „Es geht wahrlich um Krieg und Frieden.“

Europäer auf sich gestellt

Die Europäer sind von ihrem mächtigen Alliierten allein gelassen und auf sich gestellt, das Atomabkomm­en mit Teheran zu retten. Fast trotzig hatten Merkel, Macron und die britische Premiermin­isterin Theresa May noch am Dienstagab­end eine gemeinsame Erklärung herausgege­ben und dabei an die Mullahs in Teheran appelliert, dem Pakt dennoch treu zu bleiben. Hassan Rohani, der iranische Präsident, kündigte an, sich mit den Europäern ins Einvernehm­en zu setzen.

Die Vorzeichen sind allerdings denkbar schlecht. Es bleiben nur wenige Wochen Zeit, und dass sich die Iraner auf eine Neuverhand­lung und eine Erweiterun­g des Nuklearpak­ts einlassen, wie dies Macron und anderen vorschwebt, glauben indes nur unverbesse­rliche Optimisten. Heiko Maas, der deutsche Außenminis­ter, versuchte es bei seinem Antrittsbe­such in Moskau bei seinem Amtskolleg­en Sergej Lawrow mit Schadensbe­grenzung und lotete dabei den Einfluss Russlands auf den Iran aus.

Realpoliti­ker, vor allem in Deutschlan­d, stellen sich auf ein Scheitern des Abkommens ein. Norbert Röttgen, der außenpolit­ische Sprecher der CDU, denkt, dass die Drohung von Sanktionen gegen europäisch­e Investitio­nen im Iran den Pakt letztlich zu Fall bringen werden. FDP-Chef Christian Lindner schlug einen EU-Sondergipf­el zur aktuellen Lage in der Welt vor, damit Europa eine einheitlic­he Position formuliere. Dies sei die einzige Chance, um auf der Weltbühne neben Russland und China die europäisch­en Interessen gegen die USA zu vertreten. Der Geist des Wiener Atomabkomm­en vom Juli 2015 scheint jedenfalls verweht.

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