Wo Journalisten als Freiwild gelten
Montenegro. Die Reporterin Olivera Laki´c wurde vor ihrer Haustür niedergeschossen. Die Zeitung „Vijesti“macht Präsident Milo Djukanovi´c dafür mitverantwortlich.
Die Revolvermänner scheuten das Tageslicht. Vor dem Eingang ihres Wohnhauses im Zentrum von Montenegros Hauptstadt Podgorica wurde die Journalistin Olivera Lakic´ am Dienstagabend von einem ihr auflauernden Unbekannten mit einem gezielten Schuss in den Unterschenkel niedergestreckt: Zwei weitere Männer, die sie zuvor offenbar beschattet hatten, flüchteten mit dem Täter in die Dunkelheit.
Es ist nicht der erste Anschlag auf die auf Korruption und organisierte Kriminalität spezialisierte Reporterin der unabhängigen Zeitung „Vijesti“. Nach monatelangen Drohungen war die Journalistin im März 2012 am selben Ort von einem Mann zusammengeschlagen worden. Damals schrieb Lakic´ an einer Artikelserie über den Schmuggel gefälschter Markenzigaretten. Zuletzt hatte sich die 49-Jährige mit dem vorzeitig aus deutscher Haft entlassenen Drogenboss Safet Kalic´ und erneut mit der mutmaßlichen Rolle von Staatsdienern am einträglichen Zigarettenschmuggel beschäftigt. „Ist Zigarettenschmuggel weiter ein Staatsgeschäft?“, so der Titel einer ihrer letzten Enthüllungsberichte.
„Vijesti“-Herausgeber Zeljko Ivanovic´ macht nicht nur kriminelle Mafiakreise, sondern auch den mächtigsten Politiker des Adriastaats für den Anschlag mitverantwortlich. Staatschef Milo Djukanovic´ habe eine Atmosphäre geschaffen, in der missliebige Journalisten zum Freiwild erklärt würden, so der „Vijesti“-Gründer. „Zu dem Anschlag hat er die Täter zumindest indirekt eingeladen.“
Tatsächlich haben unabhängige Medien im Land der Schwarzen Berge unter der 27-jährigen Ägide des gewieften Strippenziehers einen schweren Stand: Auf dem Index der Pressefreiheit von „Reporter ohne Grenzen“ist der EU-Anwärter hinter Staaten wie Kirgistan oder Mosambik auf den 103. Rang abgesackt. Ob ausgebrannte Lieferwagen, Bombenanschläge, bedrohte, verprügelte oder angeschossene Journalisten: Allein auf die Mitarbeiter und das Eigentum der zu 25 Prozent zur österreichischen Styria Media Group zählenden „Vijesti“sind laut Ivanovic´ seit 2007 mittlerweile 25 Anschläge verübt worden – „restlos aufgeklärt wurde kein einziger“.
Zwar haben die zuständigen Minister und Ermittlungsbehörden erneut pflichtschuldig dessen baldige Aufklärung gelobt. Doch nicht nur der mehrmals öffentlich demonstrierte Unwillen des allgewaltigen Staatschefs gegenüber ihm missliebige Medien wie die „Vijesti“lässt Ivanovic´ an raschen Ermitt- lungserfolgen zweifeln: „Montenegro ist ein Mafiastaat. Und Djukanovic´ dessen Schutzherr.“
Zuletzt hatte den Staatschef Mitte April ein „Vijesti“-Bericht auf die Palme gebracht, dass er als Premier seinem Sohn eine Kraftwerkskonzession zugeschoben habe. Die „Vijesti“verbreiteten „faschistische Ideen“, wütete der steinreiche Chef der regierenden DPS: „Ich glaube, dass man mit Faschismus keine Kompromisse machen kann.“
Journalisten und Bürgerrechtler bewerten die Ausfälle von „Zar Milo“als gezieltes Schüren einer Lynchstimmung gegenüber missliebigen Kritikern. Djukanovic´ wiederum sieht in den lästigen Medien und NGOs nur „skrupellose Kämpfer um die Macht und um ausländische Spendengelder“: „Sie glauben, dass alles erlaubt ist – selbst die Zerstörung des Staats.“
Obwohl die OSZE, aber auch die EU regelmäßig Verstöße gegen die Pressefreiheit anmahnen, erfreut sich das schillernde Polit-Fossil aus geopolitischen Gründen der ungebrochenen Rückendeckung des Westens. Gegen den Willen Moskaus hat Djukanovic´ sein Land in die Nato gelotst – und sich so im Westen scheinbar unendlichen Kredit verschafft. Djukanovic´ sei ein „autoritärer Herrscher“, dem von Brüssel „alles nachgesehen“werde, klagt Ivanovic:´ „Die vermeintliche Stabilität ist der EU wichtiger als ihre Werte.“