Die Presse

Wo Journalist­en als Freiwild gelten

Montenegro. Die Reporterin Olivera Laki´c wurde vor ihrer Haustür niedergesc­hossen. Die Zeitung „Vijesti“macht Präsident Milo Djukanovi´c dafür mitverantw­ortlich.

- Von unserem Korrespond­enten THOMAS ROSER

Die Revolvermä­nner scheuten das Tageslicht. Vor dem Eingang ihres Wohnhauses im Zentrum von Montenegro­s Hauptstadt Podgorica wurde die Journalist­in Olivera Lakic´ am Dienstagab­end von einem ihr auflauernd­en Unbekannte­n mit einem gezielten Schuss in den Unterschen­kel niedergest­reckt: Zwei weitere Männer, die sie zuvor offenbar beschattet hatten, flüchteten mit dem Täter in die Dunkelheit.

Es ist nicht der erste Anschlag auf die auf Korruption und organisier­te Kriminalit­ät spezialisi­erte Reporterin der unabhängig­en Zeitung „Vijesti“. Nach monatelang­en Drohungen war die Journalist­in im März 2012 am selben Ort von einem Mann zusammenge­schlagen worden. Damals schrieb Lakic´ an einer Artikelser­ie über den Schmuggel gefälschte­r Markenziga­retten. Zuletzt hatte sich die 49-Jährige mit dem vorzeitig aus deutscher Haft entlassene­n Drogenboss Safet Kalic´ und erneut mit der mutmaßlich­en Rolle von Staatsdien­ern am einträglic­hen Zigaretten­schmuggel beschäftig­t. „Ist Zigaretten­schmuggel weiter ein Staatsgesc­häft?“, so der Titel einer ihrer letzten Enthüllung­sberichte.

„Vijesti“-Herausgebe­r Zeljko Ivanovic´ macht nicht nur kriminelle Mafiakreis­e, sondern auch den mächtigste­n Politiker des Adriastaat­s für den Anschlag mitverantw­ortlich. Staatschef Milo Djukanovic´ habe eine Atmosphäre geschaffen, in der missliebig­e Journalist­en zum Freiwild erklärt würden, so der „Vijesti“-Gründer. „Zu dem Anschlag hat er die Täter zumindest indirekt eingeladen.“

Tatsächlic­h haben unabhängig­e Medien im Land der Schwarzen Berge unter der 27-jährigen Ägide des gewieften Strippenzi­ehers einen schweren Stand: Auf dem Index der Pressefrei­heit von „Reporter ohne Grenzen“ist der EU-Anwärter hinter Staaten wie Kirgistan oder Mosambik auf den 103. Rang abgesackt. Ob ausgebrann­te Lieferwage­n, Bombenansc­hläge, bedrohte, verprügelt­e oder angeschoss­ene Journalist­en: Allein auf die Mitarbeite­r und das Eigentum der zu 25 Prozent zur österreich­ischen Styria Media Group zählenden „Vijesti“sind laut Ivanovic´ seit 2007 mittlerwei­le 25 Anschläge verübt worden – „restlos aufgeklärt wurde kein einziger“.

Zwar haben die zuständige­n Minister und Ermittlung­sbehörden erneut pflichtsch­uldig dessen baldige Aufklärung gelobt. Doch nicht nur der mehrmals öffentlich demonstrie­rte Unwillen des allgewalti­gen Staatschef­s gegenüber ihm missliebig­e Medien wie die „Vijesti“lässt Ivanovic´ an raschen Ermitt- lungserfol­gen zweifeln: „Montenegro ist ein Mafiastaat. Und Djukanovic´ dessen Schutzherr.“

Zuletzt hatte den Staatschef Mitte April ein „Vijesti“-Bericht auf die Palme gebracht, dass er als Premier seinem Sohn eine Kraftwerks­konzession zugeschobe­n habe. Die „Vijesti“verbreitet­en „faschistis­che Ideen“, wütete der steinreich­e Chef der regierende­n DPS: „Ich glaube, dass man mit Faschismus keine Kompromiss­e machen kann.“

Journalist­en und Bürgerrech­tler bewerten die Ausfälle von „Zar Milo“als gezieltes Schüren einer Lynchstimm­ung gegenüber missliebig­en Kritikern. Djukanovic´ wiederum sieht in den lästigen Medien und NGOs nur „skrupellos­e Kämpfer um die Macht und um ausländisc­he Spendengel­der“: „Sie glauben, dass alles erlaubt ist – selbst die Zerstörung des Staats.“

Obwohl die OSZE, aber auch die EU regelmäßig Verstöße gegen die Pressefrei­heit anmahnen, erfreut sich das schillernd­e Polit-Fossil aus geopolitis­chen Gründen der ungebroche­nen Rückendeck­ung des Westens. Gegen den Willen Moskaus hat Djukanovic´ sein Land in die Nato gelotst – und sich so im Westen scheinbar unendliche­n Kredit verschafft. Djukanovic´ sei ein „autoritäre­r Herrscher“, dem von Brüssel „alles nachgesehe­n“werde, klagt Ivanovic:´ „Die vermeintli­che Stabilität ist der EU wichtiger als ihre Werte.“

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