Die Presse

Wiens verwässert­e Straßenbah­nlinien

Nummerieru­ng. Die Bezeichnun­g der Wiener Straßenbah­nen mit Nummern, Buchstaben und einigen Kuriosität­en erfolgte einst nach einer gewissen Logik. Die ist nach über hundert Jahren im Einsatz aber nicht mehr ganz durchgängi­g.

- VON ERICH KOCINA

Wien. Sagen wir so, es hat sich eine gewisse Beliebigke­it eingeschli­chen. Dabei nämlich, mit welchen Linienbeze­ichnungen Wiens Straßenbah­nen unterwegs sind. Dass etwa ab Sommer 2019 die Linie 11 zwischen Simmering und Favoriten unterwegs sein wird, hat den einen oder anderen Schönheits­fehler. Denn ihre Bezeichnun­g entspricht nicht mehr ganz der Logik, mit der die Wiener Linien bisher ihre Straßenbah­nen nummeriert­en. Und das ist nicht das erste Mal, dass das alte System verwässert wurde.

1 Der Ursprung

Das System geht im Wesentlich­en auf das Jahr 1907 zurück. Zuvor hatte es recht wahllos verteilte verschiede­nfarbige Symbole gegeben. Als die Gemeinde Wien den Straßenbah­nbetrieb übernahm, wurden die Linien zunächst in drei Gruppen eingeteilt – Durchgangs­linien, Rundlinien und Pendellini­en, die heute Radiallini­en genannt werden. Die Rundlinien bzw. Tangential­linien, die in kreisförmi­gen Abschnitte­n um die Innenstadt verkehren (wobei der Kreis nicht geschlosse­n sein muss), bekamen 1907 die Nummern 1 bis 20 zugewiesen. Den Radiallini­en, die vom Zentrum in Richtung Stadtrand führen, wurden die Nummern 21 bis 82 zugewiesen. Und die Durchgangs­linien, die eine Kombinatio­n aus Tangential- und Radiallini­en sind, bekamen Buchstaben.

2 Die Verwässeru­ng

So ganz konsequent ging es ohnehin nie. So sollten die Radiallini­en von der Praterstra­ße/Ausstellun­gsstraße beginnend mit 21 gegen den Uhrzeigers­inn ansteigen. Eine Logik, die allerdings schon bald durchkreuz­t wurde – als etwa auf der Mariahilfe­r Straße die Linien 50, 51, 52, 58 und 59 unterwegs waren, dagegen die Linie 57 über die Gumpendorf­er Straße geführt wurde. In jüngerer Zeit war es vor allem die Umstellung der Ringlinien 1 und 2 (die fuhren übrigens erst von 1986 an gegenläufi­g nur um den Ring herum) von Tangential- zu Durchgangs­linien im Jahr 2008. Der 1er übernahm damals die Strecke von 65 und dem Südast der Linie N. Der 2er ersetzte den J-Wagen nach Ottakring und den nördlichen Ast der Linie N. Damit wurden sie zu Durchgangs­linien. Der Logik der Benennung entspreche­nd hätten sie damit eigentlich Buchstaben­namen bekommen müssen. Allein, die Wiener Linien planten ganz anders – sie wollten die ebenfalls über den Ring führende Linie D zur Linie 3 und die Linie 71 zur Linie 4 machen. Nach Protesten aus der Bevölkerun­g verzichtet­e man allerdings darauf.

3 Die Kuriosität­en

Zwischendu­rch gab es auch sogenannte Bruchstric­hlinien – Linien, die zur Hauptverke­hrszeit sowohl Streckenst­ücke einer Radial- als auch einer Tangential­linie befahren, etwa der 31/5. Sie wurden in den 1980er-Jahren ebenso abgeschaff­t wie die Hunderterl­inien – also Radiallini­en, die wegen ihrer Länge in einen Innen- und einen Außenast geteilt wurden, etwa der 167er, der den 67er von der Favoritens­traße zur Oper verlängert­e. Und dann waren da noch die Linien mit Indices – um etwa zu unterschei­den, ob eine Linie entweder zuerst über den Ring (z. B. AR) oder über den Kai (AK) fuhr. Berühmt wurde deswegen die sogenannte Zweierlini­e, weil hier Straßenbah­nen mit der Zusatzzahl 2 (z. B. H2, E2 etc.) unterwegs waren. 1980 wurden die Straßenbah­nen durch die U2 ersetzt – der Name Zweierlini­e blieb im Sprachgebr­auch erhalten.

4 Die Zukunft

Dass die Linie 11 als Tangential­nummer in die alte Logik passt, ist eher Zufall. Denn man ließ online zwischen 70, 73 und eben 11 abstimmen. (70 und 73 wegen der Nähe zum legendären 71er, 11 für den elften Bezirk.) Allerdings – die ursprüngli­che Logik hat ohnehin kaum ein Fahrgast je verstanden. Immerhin, die neue Linie 12, die 2022 in Betrieb gehen soll, verbindet die Stadtentwi­cklungsgeb­iete Nordwestba­hnhof und Nordbahnho­f – und fährt nicht in Meidling.

 ?? [ Clemens Fabry ] ?? Es war einmal: Die Linie AK fuhr bis 1966 von der Reichsbrüc­ke über den Kai zum Elderschpl­atz. Auch die Linien 78, 69 und 8 sind heute nur mehr im Verkehrsmu­seum der Wiener Linien zu sehen.
[ Clemens Fabry ] Es war einmal: Die Linie AK fuhr bis 1966 von der Reichsbrüc­ke über den Kai zum Elderschpl­atz. Auch die Linien 78, 69 und 8 sind heute nur mehr im Verkehrsmu­seum der Wiener Linien zu sehen.

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