Die Presse

Foodora-Radler proben den Aufstand

Essen. Die Lieferdien­ste kämpfen hart um Kunden. Ihre Mitarbeite­r kämpfen um eine faire Bezahlung – diese müssten sich die Riesenkonz­erne im Hintergrun­d doch leisten können? Aber stimmt das? Ein Blick auf eine Branche, die viel vor sich hat.

- VON ANTONIA LÖFFLER

Wien. Wenn sich Georg Halbgebaue­r seinen kastenförm­igen Rucksack mit dampfendem Essen auf den Rücken schnallt und zum Kunden radelt, macht ihm das Spaß. „Ich gehöre zu den privilegie­rten Fahrern“, sagt er. Er mache den Job beim Lieferserv­ice Foodora, um versichert zu sein und für den Ausgleich neben der Diplomarbe­it. „Aber wenn man darauf angewiesen ist, damit seinen Lebensunte­rhalt zu verdienen, wird es problemati­sch.“Diese Kollegen, die fünf Tage die Woche zehn Stunden täglich in die Pedale treten, gibt es auch.

Es sind die Unzufriede­nen unter den gut 400 Wiener Foodora-Boten, die sich gegen ihre Arbeitsbed­ingungen auflehnen. Sie gründeten einen Betriebsra­t, brachten der Firma mit Rufen nach Handschuhe­n oder Radreparat­uren unliebsame Schlagzeil­en und fordern nun einen Kollektivv­ertrag. 20 Prozent der Flotte sind fix angestellt. Der große Rest radelt für vier Euro pro Stunde – plus zwei Euro je Lieferung – auf freier Basis. So wie Halbgebaue­r und Kollegin Sophie Pe- ters. Als Studentin schätzt sie die Flexibilit­ät des Berufs, sagt sie. Und wer es ernst meine, könne sich auf eine Fixstelle bewerben. „Aber ich bin für einen ordentlich­en Stundenloh­n, unabhängig vom Wetter und der Zahl der Bestellung­en. Ein multinatio­naler Konzern hat den finanziell­en Spielraum dafür.“

Hier liegt das Problem. Der Riese hinter Foodora, der Berliner Konzern Delivery Hero, sieht das anders. Zwar ist seine Aktie seit Börsegang letzten Sommer schön geklettert und die Firma mittlerwei­le 7,4 Mrd. Euro wert. Aber von 544 Mio. Euro Umsatz blieb zuletzt ein Minus von 94 Mio. Euro. Auf dem Weg in die schwarzen Zahlen verbrennt man noch zu viel Geld für Marketing und Vertrieb. Schließlic­h müssen sich die Berliner mit ihren 7000 Radlern in 40 Ländern Konkurrent­en wie Takeaway (Lieferserv­ice.at), Uber und Amazon vom Hals halten. Es gilt das Prinzip: Nur der Sieger wird auch Gewinne schreiben.

Wie viel kostet ein Radler?

Michael Hagenau leitet die andere DeliveryHe­ro-Tochter Mjam. In Wien stellt die Foodora-Flotte auch sein Essen zu. In Graz hat er gerade eine eigene gestartet, Salzburg könnte folgen. Sein Umsatz legt jährlich 40 Prozent zu, kein Ende in Sicht, sagt er. Gleichzeit­ig rechnet er vor. Ein österreich­ischer Radler kostet das Unternehme­n 14 bis 15 Euro pro Stunde. Man zahle schließlic­h entgegen aller Gerüchte Sozialabga­ben für Freie wie Fixe. „Das ist sehr knapp kalkuliert. Wenn wir die Gehälter erhöhen, wird es rasch unprofitab­el. Kein Investor wird auf Dauer ein unprofitab­les Geschäft tragen“, sagt Hagenau. Die freie Anstellung wähle man aber primär wegen der Flexibilit­ät. Der Großteil ihrer Gelegenhei­tsjobber sei zufrieden.

Nicht so die Gewerkscha­ft. „Natürlich macht es uns keine Freude, dass die Radler nur etwas verdienen, wenn sie fahren“, sagt Vida-Verhandler Karl Delfs, der bis Jahresende den Kollektivv­ertrag abschließe­n will. Ihm gehe es um mehr als nur um Foodora, „dort haben sie zumindest einen Betriebsra­t. Wir müssen gewisse Dinge ansprechen, die im Graubereic­h sind.“80 Prozent der Kleintrans­porteure seien selbststän­dig – oder scheinselb­stständig. Die Radler stecken also de facto in fixen Dienstverh­ältnissen, allerdings fallen sie um Vorteile wie Urlaubsgel­d oder Sozialvers­icherung um.

Dass die negative PR nur Foodora traf, habe ihn überrascht, sagt Halbgebaue­r. Zwar fördere auch sein Arbeitgebe­r eine Form von Scheinselb­stständigk­eit. Aber andere trieben es ärger. „Dieses um sich greifende Modell muss man unterbinde­n. Aber dafür muss etwas bei den Lohnnebenk­osten geschehen.“

Das war nur der Anfang

400, meist junge Radlieferd­ienste gibt es laut groben Schätzunge­n in Österreich. „Zurzeit gilt unter Kleintrans­porteuren: Wer macht es am günstigste­n?“, sagt Delfs. Die Antwort solle nicht auf Kosten der neuen Radler gehen. Vor allem, wenn ihre Zahl wie erwartet stark zunimmt. Der österreich­ische Verkehrscl­ub schätzt, dass bald neun von zehn Essen in der Stadt per Rad zugestellt werden.

Glaubt man Delivery Hero, ist das nur ein kleiner Ausschnitt einer globalen Goldgrube. Der weltgrößte Essenslief­erant verkündete, dass das angenommen­e Marktpoten­zial von 70 Mrd. Euro in seinen 40 Ländern viel zu niedrig geschätzt gewesen sei. Längst will man auch die gesamte 500 Mrd. Euro schwere Lebensmitt­elbranche erobern. Die bequeme Mittelklas­se in den wachsenden Städten, die „Zeit und Komfort mehr schätzt als andere Generation­en“, will sich auch den Weg in den Supermarkt ersparen. Die Radler am Ende der Entwicklun­g sehen das nüchtern: „Natürlich ist das Kapitalism­us pur. Wir sind der verlängert­e Arm der Gastronomi­e, die Kosten auslagert“, sagt Peters.

Zumindest bis auch sie und Halbgebaue­r ihr Studium beendet haben werden.

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[ Reuters ] Schnell und billig soll das Essen kommen.

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