Foodora-Radler proben den Aufstand
Essen. Die Lieferdienste kämpfen hart um Kunden. Ihre Mitarbeiter kämpfen um eine faire Bezahlung – diese müssten sich die Riesenkonzerne im Hintergrund doch leisten können? Aber stimmt das? Ein Blick auf eine Branche, die viel vor sich hat.
Wien. Wenn sich Georg Halbgebauer seinen kastenförmigen Rucksack mit dampfendem Essen auf den Rücken schnallt und zum Kunden radelt, macht ihm das Spaß. „Ich gehöre zu den privilegierten Fahrern“, sagt er. Er mache den Job beim Lieferservice Foodora, um versichert zu sein und für den Ausgleich neben der Diplomarbeit. „Aber wenn man darauf angewiesen ist, damit seinen Lebensunterhalt zu verdienen, wird es problematisch.“Diese Kollegen, die fünf Tage die Woche zehn Stunden täglich in die Pedale treten, gibt es auch.
Es sind die Unzufriedenen unter den gut 400 Wiener Foodora-Boten, die sich gegen ihre Arbeitsbedingungen auflehnen. Sie gründeten einen Betriebsrat, brachten der Firma mit Rufen nach Handschuhen oder Radreparaturen unliebsame Schlagzeilen und fordern nun einen Kollektivvertrag. 20 Prozent der Flotte sind fix angestellt. Der große Rest radelt für vier Euro pro Stunde – plus zwei Euro je Lieferung – auf freier Basis. So wie Halbgebauer und Kollegin Sophie Pe- ters. Als Studentin schätzt sie die Flexibilität des Berufs, sagt sie. Und wer es ernst meine, könne sich auf eine Fixstelle bewerben. „Aber ich bin für einen ordentlichen Stundenlohn, unabhängig vom Wetter und der Zahl der Bestellungen. Ein multinationaler Konzern hat den finanziellen Spielraum dafür.“
Hier liegt das Problem. Der Riese hinter Foodora, der Berliner Konzern Delivery Hero, sieht das anders. Zwar ist seine Aktie seit Börsegang letzten Sommer schön geklettert und die Firma mittlerweile 7,4 Mrd. Euro wert. Aber von 544 Mio. Euro Umsatz blieb zuletzt ein Minus von 94 Mio. Euro. Auf dem Weg in die schwarzen Zahlen verbrennt man noch zu viel Geld für Marketing und Vertrieb. Schließlich müssen sich die Berliner mit ihren 7000 Radlern in 40 Ländern Konkurrenten wie Takeaway (Lieferservice.at), Uber und Amazon vom Hals halten. Es gilt das Prinzip: Nur der Sieger wird auch Gewinne schreiben.
Wie viel kostet ein Radler?
Michael Hagenau leitet die andere DeliveryHero-Tochter Mjam. In Wien stellt die Foodora-Flotte auch sein Essen zu. In Graz hat er gerade eine eigene gestartet, Salzburg könnte folgen. Sein Umsatz legt jährlich 40 Prozent zu, kein Ende in Sicht, sagt er. Gleichzeitig rechnet er vor. Ein österreichischer Radler kostet das Unternehmen 14 bis 15 Euro pro Stunde. Man zahle schließlich entgegen aller Gerüchte Sozialabgaben für Freie wie Fixe. „Das ist sehr knapp kalkuliert. Wenn wir die Gehälter erhöhen, wird es rasch unprofitabel. Kein Investor wird auf Dauer ein unprofitables Geschäft tragen“, sagt Hagenau. Die freie Anstellung wähle man aber primär wegen der Flexibilität. Der Großteil ihrer Gelegenheitsjobber sei zufrieden.
Nicht so die Gewerkschaft. „Natürlich macht es uns keine Freude, dass die Radler nur etwas verdienen, wenn sie fahren“, sagt Vida-Verhandler Karl Delfs, der bis Jahresende den Kollektivvertrag abschließen will. Ihm gehe es um mehr als nur um Foodora, „dort haben sie zumindest einen Betriebsrat. Wir müssen gewisse Dinge ansprechen, die im Graubereich sind.“80 Prozent der Kleintransporteure seien selbstständig – oder scheinselbstständig. Die Radler stecken also de facto in fixen Dienstverhältnissen, allerdings fallen sie um Vorteile wie Urlaubsgeld oder Sozialversicherung um.
Dass die negative PR nur Foodora traf, habe ihn überrascht, sagt Halbgebauer. Zwar fördere auch sein Arbeitgeber eine Form von Scheinselbstständigkeit. Aber andere trieben es ärger. „Dieses um sich greifende Modell muss man unterbinden. Aber dafür muss etwas bei den Lohnnebenkosten geschehen.“
Das war nur der Anfang
400, meist junge Radlieferdienste gibt es laut groben Schätzungen in Österreich. „Zurzeit gilt unter Kleintransporteuren: Wer macht es am günstigsten?“, sagt Delfs. Die Antwort solle nicht auf Kosten der neuen Radler gehen. Vor allem, wenn ihre Zahl wie erwartet stark zunimmt. Der österreichische Verkehrsclub schätzt, dass bald neun von zehn Essen in der Stadt per Rad zugestellt werden.
Glaubt man Delivery Hero, ist das nur ein kleiner Ausschnitt einer globalen Goldgrube. Der weltgrößte Essenslieferant verkündete, dass das angenommene Marktpotenzial von 70 Mrd. Euro in seinen 40 Ländern viel zu niedrig geschätzt gewesen sei. Längst will man auch die gesamte 500 Mrd. Euro schwere Lebensmittelbranche erobern. Die bequeme Mittelklasse in den wachsenden Städten, die „Zeit und Komfort mehr schätzt als andere Generationen“, will sich auch den Weg in den Supermarkt ersparen. Die Radler am Ende der Entwicklung sehen das nüchtern: „Natürlich ist das Kapitalismus pur. Wir sind der verlängerte Arm der Gastronomie, die Kosten auslagert“, sagt Peters.
Zumindest bis auch sie und Halbgebauer ihr Studium beendet haben werden.