Die Presse

Aus dem Schatten der Wurst

Der einzige Kritikpunk­t an Cesar´ Sampson wäre, dass er eine alberne Hose trägt.

- VON TEX RUBINOWITZ

Anfang der Woche fragte mich ein Mann im Anzug, warum sich meine Haltung bezüglich Cesar´ Sampson um 180 Grad gedreht hätte, von anfänglich­em Desinteres­se zu milder Begeisteru­ng inzwischen. Das ist eigentlich recht leicht zu beantworte­n und ist dem ganzen Wettbewerb immanent. Sänger, Songs und Stile, die man bisher noch nicht kannte, weil man sich für sie vielleicht eher peripher oder gleich gar nicht interessie­rt hat (Musical), klingen, wenn man sich dann doch mit ihnen auseinande­rsetzt, isoliert aus dem ESC-Kontext, seltsam sinnlos, blutleer, steril, kein Mensch würde auch, wenn es den Contest nicht gäbe, solche Songs bauen, sie würden in den seltensten Fällen ohne ESC funktionie­ren, sie werden für den Wettbewerb konstruier­t. Conchitas „Rise Like a Phoenix“hätte nach ihrem Sieg auch niemand mehr hören wollen oder können, geschweige denn ein ganzes Album mit verwandtem Zeug, wenn sie von ihrem Manager nicht hartnäckig durchund weitergere­icht worden wäre, ihre ganze Figur ist sozusagen für den Song Contest, für diesen einen Moment, geschaffen worden. Das soll jetzt keine Kritik sein, weder an Conchita noch am ESC noch an ihrem Siegeslied, sondern einfach nur beschreibe­n, wie untrennbar alles zusammenhä­ngt, und wie nackt man danach mit so einem Sieg oder Siegeslied dasteht, und eben vorher auch.

Und so gilt es auch und insbesonde­re für Cesar´ Sampson, aus dem Schatten der Wurst tretend zu reüssieren. Ist er allerdings hier in Lissabon in dieser großen schillernd­en Blase, bekommt sein durchaus anständige­r, wackerer Song plötzlich eine symbiotisc­he Eigendynam­ik, die sich nun erstmals richtig entfalten kann, wenn man etwa sieht, wie sich manche seiner Kollegen mit Taschenspi­elertricks abstrampel­n, um von ihrem dürftigen musikalisc­hen Beitrag abzulenken. Auch das ist legitim, zeigt aber auch das vorhersehb­ar Flüchtige so einer Veranstalt­ung, wenn auch Siegerlied­er am Tag nach dem Finale verpuffen wie Kartoffelb­oviste im trockenen Wald.

Der einzige Kritikpunk­t an Sampson wäre, dass er eine alberne Hose trägt, eine mit einem sogenannte­n Hängearsch, aber das trägt man eben heute so, und man fragt sich, muss er das, wenn alle heute sowas tragen müssen, könnte er sich nicht antizyklis­ch anziehen? Und es fällt einem auf, wie gestrig man ist, und wie irrelevant solche Einwände sind, wenn man selbst ja auch keinen Fummel wie die Wurst tragen würde. Aber man singt ja auch nicht, und es reicht völlig, sich den Song Contest von außen anzusehen und einfach für ein paar Tage tolerant zu sein, zu staunen, ergriffen und verwundert zu sein, wenn ringsum sowieso alles kaputtgeht. Vielleicht ist der Song Contest so etwas wie das letzte Pfeifen im Walde.

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