Nah ist der zürnende, rettende Gott
Schauspielhaus Graz. Volker Hesse dramatisiert Hits aus der Bibel, die Zuseher sind in diesem „Tagebuch“mittendrin: „Altes Testament“beeindruckt vor allem wegen des Skripts.
Volker Hesse dramatisiert Hits aus der Bibel im Schauspielhaus Graz. „Altes Testament“beeindruckt vor allem wegen des Skripts.
Am Ende fast, nach der Vertreibung aus dem Paradies und kurzer Fahrt auf der zur Arche mutierten Drehbühne, nach harter Knechtschaft in Ägypten, dem Exodus sowie Geschichten von Königen und Propheten, wurde es am Samstag sinnlich bei der Premiere von „Altes Testament – aus dem Tagebuch der Menschheit“: Gut drei Stunden haben die Zuseher im Grazer Schauspielhaus die bekanntesten Episoden hautnah miterlebt, vor allem aus Genesis und Exodus, da beginnt das Dutzend Darsteller mit ihnen zu flirten, schleppt die willigen ab. Dazu wird das Hohelied Salomos zitiert, einer der erotischsten Texte der Weltliteratur aus Arabiens Wüste. Das ist versöhnlich, denn zuvor war der Gott des Alten Bundes dominant, der dem Volke Israel zürnt und es immer wieder auch verflucht.
Regisseur Volker Hesse verwendet ein bewährtes Konzept, um für einen großen Stoff einzunehmen: Nieder mit der vierten Wand! Stephan Mannteuffel hat Bühne und Parkett zu einer großen Arena zusammengebaut, in der alle ein bisschen mitspielen dürfen. Die Show beginnt mit der Schöpfung – man bittet Besucher, sich auf Kartons zu stellen und kurze Texte vorzutragen (verwendet wird die revidierte Lutherbibel von 2017). Kaum ist die Welt erschaffen, verflucht Gott Adam und Eva, vertreibt sie aus dem Paradies. Kain erschlägt Abel in einem spektaku- lären Trapezakt. Auf der Welt herrscht bald so viel Böses, dass die völlige Vernichtung droht. Nur Noahs Sippe bleibt der Untergang erspart, Vieh und Publikum dürfen ebenfalls auf die Arche. Doch danach wird das Mitmachen spärlicher genutzt. Babylons Turm stürzt ein. Diese Kartons dienen dann als Sitze. Eher passiv verfolgen die meisten nun, wie der Stamm Abrahams (Gerhard Balluch) mit allen seinen Nebenlinien und -frauen wächst, wie ihn zur Prüfung der verstörende Befehl ereilt, seinen Sohn Isaak zu opfern, wie dessen Sohn Jakob den Erstgeborenen, Esau (Florian Köhler), austrickst und selbst von Schwiegervater Laban (Daniel Doujenis) übervorteilt wird.
Die Geschichte von Josef in Ägypten wird ausführlich erzählt, auch die von Moses, der sein Volk weg vom Pharao (u. a. Mercy Dorcas Otieno) ins Gelobte Land führt. Hier ist er ein Stammler (Julia Gräfner). Wen wundert es, dass Moses bei solch heiklen Aufträgen von ganz oben ins Stocken gerät? Oft wird der Allmächtige voll Furcht, mit zitternder Stimme angerufen – von Hiob etwa (Anna Szandtner) und dessen Freund (Oliver Chomik), von Kain (Pascal Goffin) und von Noah (Werner Strenger).
Donnergrollen über dem Freiheitsplatz
Für die unheimlichste Szene aber sorgt bei der Premiere die Natur: Gewitter über Graz. Eben kam wieder der Vorwurf, Gott schweige, da donnert es gewaltig. Mit diesem Effekt können weder die großflächigen Videos (rocafilm) noch die tolle, von Bojan Vuletic´ geleitete Musikgruppe mithalten. Fazit: beeindruckender Aufwand, teils intensives, teils verblödeltes Spiel. Die Aufführung lebt von der faszinierenden Nähe zu fabelhaften Schauspielern in stets wechselnden Rollen. Und vor allem davon, dass die Bibel das beste Skript für höchste Dramatik bleibt.