Die SPÖ sucht das moderne Proletariat
Debatte. Alt-Landeshauptmann Franz Voves hat der SPÖ ein Zielgruppenproblem attestiert und damit einen Nerv getroffen: Welche Klientel will die Partei anno 2018 eigentlich (noch) vertreten?
Alt-Landeshauptmann Franz Voves hat der SPÖ ein Zielgruppenproblem attestiert und damit einen Nerv getroffen.
Wien. Nein, als Kritik an Christian Kern will man die Aussagen von Franz Voves in der Bundes-SPÖ nicht verstanden wissen. Der Parteivorsitzende sei nicht mitgemeint gewesen, als der steirische Alt-Landeshauptmann die SPÖ am Wochenende zu einer reformfaulen „Wohlfühlpartei“für Funktionäre erklärt und schleunigst Reformen – auch personelle – eingefordert hat.
Max Lercher, Bundesgeschäftsführer seit Dezember und davor Landesparteisekretär der steirischen SPÖ, meint zu wissen, wen sein vormaliger Chef gemeint hat: In den Jahren der Macht habe sich bei manchen Sozialdemokraten – Namen nenne er keine – ein gewisser Opportunismus eingeschlichen. „Es ist nichts dagegen einzuwenden, dass sich die Menschen bei uns wohlfühlen, aber wir müssen an unserer Glaubwürdigkeit arbeiten.“Deshalb möchte Lercher die Idealisten in der SPÖ stärken: „Von den Opportunisten werden wir uns auf dem Weg zurück an die Spitze trennen müssen.“
Allerdings beschäftigen die SPÖ – von der Wiener Landespartei einmal abgesehen – derzeit weniger personelle als strategische Fra- gen, aus denen sich im Herbst dann das neue Parteiprogramm ableiten soll. Spätestens seit dem Verlust des Kanzleramtes befindet sich die SPÖ in einer latenten Identitätskrise. Auch hier hat Voves einen empfindlichen Nerv in der Partei getroffen: Die SPÖ müsse ihre Zielgruppe überdenken und neue Wählergruppen erschließen.
Betriebe, Bauern, Studenten
„Franz Voves hat recht: Die SPÖ muss einen breiteren Vertretungsanspruch leben, wenn sie Volkspartei bleiben will“, sagt Lercher zur „Presse“. Seit Christian Kern Parteivorsitzender sei, würden EinPersonen-Unternehmen (EPUs) und prekär Beschäftigte ganz gezielt angesprochen – nachzulesen auch im Plan A. Immerhin sei die SPÖ „die einzige Vertretung, die dieses moderne Proletariat hat“.
Voves hatte in einem Interview mit der „Kleinen Zeitung“gemeint, dass Voest-Mitarbeiter mit einem monatlichen Bruttolohn von 3500 Euro nicht mehr jene Menschen seien, die die Hilfe der SPÖ am dringendsten benötigten. „Die heutigen Schwachen sind die Hilfsarbeiter, aber inzwischen auch die Mittelschicht.“Die Partei müsse sich um alleinerziehende Mütter oder Studenten kümmern, „die fertig sind und vier Jobs brauchen, um 1800 Euro brutto im Monat zu verdienen“. Auch auf EPU und Nebenerwerbsbauern sollte die Sozialdemokratie zugehen. „Aber diese Veränderung hat die Partei nicht überrissen.“
Es ist lange her, dass Voves der SPÖ die Leviten gelesen hat. Seit seinem Rücktritt nach der Landtagswahl 2015 hat sich der 65-Jährige öffentlich kaum noch zu Wort gemeldet, stattdessen galt er immer als Förderer von Christian Kern. Umso mehr hat die Art und Weise der Kritik viele Genossen irritiert. Aber inhaltlich findet sich in der SPÖ kaum jemand, der Voves’ Problemanalyse nicht teilen würde.
Sein Nachfolger in der Steiermark, Michael Schickhofer, widerspricht Voves nur in einem Punkt: Für Voest-Mitarbeiter müsse die SPÖ auch weiterhin da sein. Wer Volkspartei bleiben wolle, dürfe die angestammten Zielgruppen nicht vernachlässigen – schon gar nicht jetzt, da die FPÖ mit ihrer Zustimmung zur 60-Stunden-Woche und zum Zwölf-Stunden-Tag am besten Weg sei, „die Arbeiter zu verraten“. Zudem will Schickhofer, der die Reformgruppe der Bundespartei leitet, den Fokus vor allem auf Frauen legen, die – außer der SPÖ – nun keine politische Vertretung mehr hätten.
Auch der ÖGB öffnet sich
Wolfgang Katzian, Chef der SPÖGewerkschafter und designierter Präsident des Gewerkschaftsbundes, war am Montag nicht für eine Stellungnahme erreichbar. Die Reformüberlegungen des ÖGB ähneln aber jenen in der SPÖ. Auch die Gewerkschafter haben eine neue „Kundschaft“ins Auge gefasst. Zu den potenziellen neuen Mitgliedern zählen Tagelöhner (Crowdworker) genauso wie EPU und Personen, die für internationale Plattformen arbeiten. Der über 100 Seiten dicke Leitantrag, der beim ÖGB-Bundeskongress im Juni beschlossen wird, widmet sich nicht zufällig den Auswirkungen der Digitalisierung auf die Arbeitswelt. Titel: „Faire Arbeit 4.0.“
Die SPÖ ist die einzige Vertretung, die dieses moderne Proletariat hat.
Max Lercher, Bundesgeschäftsführer der SPÖ