Die Presse

Die SPÖ sucht das moderne Proletaria­t

Debatte. Alt-Landeshaup­tmann Franz Voves hat der SPÖ ein Zielgruppe­nproblem attestiert und damit einen Nerv getroffen: Welche Klientel will die Partei anno 2018 eigentlich (noch) vertreten?

- VON THOMAS PRIOR

Alt-Landeshaup­tmann Franz Voves hat der SPÖ ein Zielgruppe­nproblem attestiert und damit einen Nerv getroffen.

Wien. Nein, als Kritik an Christian Kern will man die Aussagen von Franz Voves in der Bundes-SPÖ nicht verstanden wissen. Der Parteivors­itzende sei nicht mitgemeint gewesen, als der steirische Alt-Landeshaup­tmann die SPÖ am Wochenende zu einer reformfaul­en „Wohlfühlpa­rtei“für Funktionär­e erklärt und schleunigs­t Reformen – auch personelle – eingeforde­rt hat.

Max Lercher, Bundesgesc­häftsführe­r seit Dezember und davor Landespart­eisekretär der steirische­n SPÖ, meint zu wissen, wen sein vormaliger Chef gemeint hat: In den Jahren der Macht habe sich bei manchen Sozialdemo­kraten – Namen nenne er keine – ein gewisser Opportunis­mus eingeschli­chen. „Es ist nichts dagegen einzuwende­n, dass sich die Menschen bei uns wohlfühlen, aber wir müssen an unserer Glaubwürdi­gkeit arbeiten.“Deshalb möchte Lercher die Idealisten in der SPÖ stärken: „Von den Opportunis­ten werden wir uns auf dem Weg zurück an die Spitze trennen müssen.“

Allerdings beschäftig­en die SPÖ – von der Wiener Landespart­ei einmal abgesehen – derzeit weniger personelle als strategisc­he Fra- gen, aus denen sich im Herbst dann das neue Parteiprog­ramm ableiten soll. Spätestens seit dem Verlust des Kanzleramt­es befindet sich die SPÖ in einer latenten Identitäts­krise. Auch hier hat Voves einen empfindlic­hen Nerv in der Partei getroffen: Die SPÖ müsse ihre Zielgruppe überdenken und neue Wählergrup­pen erschließe­n.

Betriebe, Bauern, Studenten

„Franz Voves hat recht: Die SPÖ muss einen breiteren Vertretung­sanspruch leben, wenn sie Volksparte­i bleiben will“, sagt Lercher zur „Presse“. Seit Christian Kern Parteivors­itzender sei, würden EinPersone­n-Unternehme­n (EPUs) und prekär Beschäftig­te ganz gezielt angesproch­en – nachzulese­n auch im Plan A. Immerhin sei die SPÖ „die einzige Vertretung, die dieses moderne Proletaria­t hat“.

Voves hatte in einem Interview mit der „Kleinen Zeitung“gemeint, dass Voest-Mitarbeite­r mit einem monatliche­n Bruttolohn von 3500 Euro nicht mehr jene Menschen seien, die die Hilfe der SPÖ am dringendst­en benötigten. „Die heutigen Schwachen sind die Hilfsarbei­ter, aber inzwischen auch die Mittelschi­cht.“Die Partei müsse sich um alleinerzi­ehende Mütter oder Studenten kümmern, „die fertig sind und vier Jobs brauchen, um 1800 Euro brutto im Monat zu verdienen“. Auch auf EPU und Nebenerwer­bsbauern sollte die Sozialdemo­kratie zugehen. „Aber diese Veränderun­g hat die Partei nicht überrissen.“

Es ist lange her, dass Voves der SPÖ die Leviten gelesen hat. Seit seinem Rücktritt nach der Landtagswa­hl 2015 hat sich der 65-Jährige öffentlich kaum noch zu Wort gemeldet, stattdesse­n galt er immer als Förderer von Christian Kern. Umso mehr hat die Art und Weise der Kritik viele Genossen irritiert. Aber inhaltlich findet sich in der SPÖ kaum jemand, der Voves’ Problemana­lyse nicht teilen würde.

Sein Nachfolger in der Steiermark, Michael Schickhofe­r, widerspric­ht Voves nur in einem Punkt: Für Voest-Mitarbeite­r müsse die SPÖ auch weiterhin da sein. Wer Volksparte­i bleiben wolle, dürfe die angestammt­en Zielgruppe­n nicht vernachläs­sigen – schon gar nicht jetzt, da die FPÖ mit ihrer Zustimmung zur 60-Stunden-Woche und zum Zwölf-Stunden-Tag am besten Weg sei, „die Arbeiter zu verraten“. Zudem will Schickhofe­r, der die Reformgrup­pe der Bundespart­ei leitet, den Fokus vor allem auf Frauen legen, die – außer der SPÖ – nun keine politische Vertretung mehr hätten.

Auch der ÖGB öffnet sich

Wolfgang Katzian, Chef der SPÖGewerks­chafter und designiert­er Präsident des Gewerkscha­ftsbundes, war am Montag nicht für eine Stellungna­hme erreichbar. Die Reformüber­legungen des ÖGB ähneln aber jenen in der SPÖ. Auch die Gewerkscha­fter haben eine neue „Kundschaft“ins Auge gefasst. Zu den potenziell­en neuen Mitglieder­n zählen Tagelöhner (Crowdworke­r) genauso wie EPU und Personen, die für internatio­nale Plattforme­n arbeiten. Der über 100 Seiten dicke Leitantrag, der beim ÖGB-Bundeskong­ress im Juni beschlosse­n wird, widmet sich nicht zufällig den Auswirkung­en der Digitalisi­erung auf die Arbeitswel­t. Titel: „Faire Arbeit 4.0.“

Die SPÖ ist die einzige Vertretung, die dieses moderne Proletaria­t hat.

Max Lercher, Bundesgesc­häftsführe­r der SPÖ

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[ APA ] Zwischen Kanzlerans­pruch und Zielgruppe­ndebatte in der eigenen Partei: SPÖ-Chef Christian Kern arbeitet gerade an einer Reform des Parteiprog­ramms.

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