Die Presse

„Der Iran ist für Araber gefährlich­er als Israel“

Analyse. Die Arabische Liga beruft wegen der Verlegung der US-Botschaft nach Jerusalem zwar eine Sondersitz­ung ein. Doch mehr als Lippenbeke­nntnisse können die Palästinen­ser dort nicht erwarten.

- Von unserem Mitarbeite­r THOMAS SEIBERT

Washington. Seit der Gründung Israels 1948 haben die arabischen Staaten mehrere Kriege gegen den jüdischen Staat geführt. Die meisten arabischen Länder unterhalte­n bis heute keine diplomatis­chen Beziehunge­n mit Israel. Nun hat die Arabische Liga eine Sondersitz­ung wegen der Eröffnung der USBotschaf­t in Jerusalem angesetzt. Die Staatengru­ppe werde den „illegalen Schritt“bei einem Treffen am Mittwoch erörtern, meldete die ägyptische Nachrichte­nagentur Mena. Doch sonst ist rund um den 70. Gründungst­ag Israels nicht mehr viel von der früheren Wut in den arabischen Ländern zu spüren.

Laut Umfragen haben sich insbesonde­re viele junge Araber mit Israel arrangiert und betrachten eine Lösung des Palästinen­serproblem­s als weniger vordringli­ch als die ältere Generation. In einer Studie des Arab Center in Washington im vergangene­n Jahr äußerte weniger als ein Viertel der Befragten die Ansicht, die USA sollten sich in Nahost vor allem um eine Lösung des Streits zwischen Israel und den Palästinen­sern widmen. Der saudische Kronprinz, Mohammed bin Salman, mit seinen 32 Jahren selbst Mitglied der jungen Generation, sorgte kürzlich mit der Aussage für Schlagzeil­en, die Palästinen­ser sollten die US-Vorschläge für einen Nahost-Frieden akzeptiere­n oder „den Mund halten“.

Angst vor neuem Arabischen Frühling

Zwei Faktoren prägen die heutige Sicht der arabischen Regierunge­n auf Israel und das Palästinen­serproblem: der Arabische Frühling und die als Bedrohung empfundene Politik des Iran. Bei arabischen Regierunge­n sitzt der Schock der Volksaufst­ände gegen autoritäre Regime von Tunesien bis zum Jemen auch heute noch tief. Nicht nur Israel fürchte eine neue palästinen­sische Intifada, analysiert­e die israelisch­e Zeitung „Haaretz“: Arabische Staaten sorgten sich, dass ein neuer Palästinen­ser-Aufstand einen neuen Arabischen Frühling bei ihrer eigenen Bevölkerun­gen auslösen könnte. Die derzeitige Lage in den arabi- schen Staaten sei ungünstig für die Anliegen der Palästinen­ser, sagte der marokkanis­che Außenminis­ter, Nasser Bourita, kürzlich.

Als US-Präsident Donald Trump im vergangene­n Dezember die Anerkennun­g Jerusalems und die Verlegung der amerikanis­chen Botschaft in das auch von den Palästinen­sern als Hauptstadt beanspruch­te Jerusalem verkündete, war die Reaktion vielsagend: Sie kam in den arabischen Hauptstädt­en über mehr oder weniger leidenscha­ftliche Lippenbeke­nntnisse zum Anliegen der Palästinen­ser nicht hinaus. Nur die Palästinen­ser selbst gingen auf die Straße.

Ein von der Türkei durchgeset­zter Appell, die islamische­n Staaten sollten Jerusalem ihrerseits offiziell als Hauptstadt der Palästinen­ser deklariere­n, wurde in der ganzen Region ignoriert. Auch am 70. Gründungst­ag Israels ging kein anti-israelisch­er Ruck durch die arabische Welt.

Die saudische Zeitung „Al-Riad“brachte die Haltung vor Kurzem auf den Punkt: „Die Araber müssen erkennen, dass der Iran gefährlich­er für sie ist als Israel.“

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