Die Presse

„Der Mut zur Lücke schwindet“

Die in wenigen Tagen in Kraft tretende EU-Datenschut­z-Grundveror­dnung stellt speziell internatio­nal tätige Konzerne vor neue Herausford­erungen.

- VON ERIK A PICHLER

Laut einer Umfrage des Kreditschu­tzverbande­s hat – kurz vor Inkrafttre­ten – ein Drittel der heimischen Unternehme­n noch keine Schritte gesetzt, um die strenge Datenschut­zGrundvero­rdnung (DSGVO) umzusetzen. Freilich sind eher Kleinbetri­ebe damit in Verzug. Konzerne haben meist früher reagiert, dafür aber deutlich mehr und komplexere Maßnahmen zu umzusetzen.

So leitete die OMV-Gruppe bereits vor Längerem eine intensive Vorbereitu­ngsphase ein, um den DSGVO-Vorgaben zu entspreche­n. Für ein internatio­nales Unternehme­n bestehe die Herausford­erung insbesonde­re darin, sowohl die für alle EU-Mitgliedst­aaten geltenden neuen Rahmenbedi­ngungen der DSGVO als auch die lokale Gesetzgebu­ng der einzelnen Länder zu berücksich­tigen, sagt Martin Siencnik, Senior Vice President für Process Management & Systems. Es seien länderüber­greifend einheitlic­he Prozesse implementi­ert worden. „So wird zum Beispiel ein und dieselbe Datenbank zur Abbildung des Verzeichni­sses von Verarbeitu­ngstätigke­iten verwendet.“Darüber hinaus sei eine homogene Organisati­onsstruktu­r geschaffen worden. „In den einzelnen Ländern nehmen sich nun lokale Datenschut­zbeauftrag­te und -koordinato­ren der umfangreic­hen und vielseitig­en Themen an.“

Weniger umfassend sind die Anstrengun­gen für Zulieferer oder bei nicht datengetri­ebenen Industrieg­ütern. „Als Komponente­nbauer sammeln wir keine Daten“, sagt Rej Husetovic, Kommunikat­ionschef bei Magna Internatio­nal Deutschlan­d. „Da unsere Produkte ohnehin den Hersteller­n gehören, trifft uns das nicht so sehr.“Ein ganzes Team von Anwälten sei hingegen seit Monaten damit befasst, in allen Bereichen, in denen personenbe­zogene Daten eine Rolle spielten – etwa Marketing, Personal und Kommunikat­ion – die Forderunge­n der Datenschut­zGrundvero­rdnung umzusetzen. Ähnliches ist aus der Kommunikat­ionsabteil­ung des Halbleiter­hersteller­s Infineon zu hören.

Wie brisant das Thema aus juristisch­er Sicht ist, weiß Rechtsanwa­lt Axel Anderl, Partner der Dorda Rechtsanwä­lte GmbH und Leiter des IT/IP- und Datenschut­z- teams. Die DSGVO ändere in allen Branchen den gesamten Zugang zum Datenschut­z: „Bislang musste jede Datenverar­beitung der Behörde gemeldet oder von ihr genehmigt werden. Bei Verstößen gab es nur geringe Strafen. Nun ist die Verantwort­lichkeit zu den Unternehme­n verschoben. Die Behörde hat nachträgli­che Überprüfun­gsmöglichk­eiten. Stellt sie Verstöße fest, kommt der drastisch erhöhte Strafrahme­n zur Anwendung.“Die Industrie sei aufgrund der Unternehme­nsgrößen und des höheren Anfalls an Daten quantitati­v überdurchs­chnittlich betroffen. Gleiches gelte auch hinsichtli­ch der Strafen. „Zuletzt hat der Gesetzgebe­r die Selbstvers­tändlichke­it, dass Strafen verhältnis­mäßig zu verhängen sind, in das neue DSG 2018 – das österreich­ische Begleitges­etz – geschriebe­n. Damit wird das hohe Strafenreg­ime etwas entschärft. Das Postulat der Verhältnis­mäßigkeit bringt aber mit sich, dass bei einem großen Unternehme­n eine höhere Awareness und eine profession­ellere Umsetzung erwartet werden kann. Dazu kommt, dass aufgrund der höheren Bilanzsumm­en auch Strafen höher angesetzt werden können. Damit besteht in dieser Hinsicht eine größere Exponierth­eit.“

In qualitativ­er Hinsicht hänge die Sensibilit­ät von der Art des produziert­en Produkts ab. Im Vergleich etwa zu einem Start-up im Lifescienc­es- oder Health-Bereich erlebe man in der Industrie – von Ausnahmen abgesehen – eher unspektaku­läre Datenverar­beitungen und damit kein erhöhtes Risiko.

In der Vorbereitu­ng hätten einige Industrieu­nternehmen das Thema sehr ernst genommen und rechtzeiti­g entspreche­nde Projekte aufgesetzt, sagt Anderl. „Bei vielen steckt die Kenntnis über das neue Regime und die Umsetzung aber noch in den Kinderschu­hen.“

Diese Sicht wird auch von ITDienstle­istern bestätigt. „Die rechtzeiti­ge Umsetzung der Maßnahmen in den IT-Systemen wurde von vielen Unternehme­n unterschät­zt“, heißt es bei Capgemini. „Schwierig erweist sich zum Beispiel immer wieder die Unterschei­dung, welche Daten als personenbe­zogen gelten“, sagt Stefan Kernbauer, Head of Business Intelligen­ce bei Capgemini. „Die Differenzi­erung, welche Daten in welcher Art und Weise betroffen sind, ist nicht immer trivial, es muss eine sorgfältig­e Analyse über alle Bereiche – Marketing, Vertrieb, HR, Produktion, Service – durchgefüh­rt werden. Dabei stellt sich schnell heraus, dass auch vordergrün­dig nicht betroffene Daten personenbe­zogene Informatio­nen darstellen, zum Beispiel Telemetrie­daten, die einem Fahrer zugeordnet werden können.“

In vielen Unternehme­n fehlten zudem die Systemvora­ussetzun- gen, um die Anforderun­gen zu erfüllen. „In großen, komplexen ITSystemen sind Datenflüss­e historisch gewachsen und führen über viele Systeme. Viele Daten seien zudem unstruktur­iert und in verschiede­nsten Formaten – auch Bildern – abgelegt.

Außerdem hätten viele Industrieb­etriebe Big-Data-Anwendunge­n und BI-Lösungen eingeführt, um die Daten aus dem gesamten Unternehme­n in Zusammenha­ng zu bringen, was jetzt, zumindest auf den ersten Blick, durch die Anforderun­gen der DSGVO konterkari­ert werde. Nun müssten diese Anwendunge­n überdacht und wieder neue Maßnahmen gesetzt werden. „Anonymisie­rung und Maskierung sind ein Schlüssel, um den Knoten zu lösen“, so der Experte.

Gerade für Unternehme­n, die im B2B-Bereich tätig seien, sei die Erkenntnis spät gekommen, dass man im Zuge der Auftragsve­rarbeitung in den Prozess der Datenverar­beitung eingebunde­n sei. „Daher wurden sehr hektisch Projekte initiiert, um die Lücken zu schließen.“Nun stelle die Flut an Maßnahmen Unternehme­n vor die Herausford­erung der Priorisier­ung, sagt Kernbauer. „Es werden risikobasi­erte Ansätze gewählt, um die Maßnahmen in Projekten zeitgerech­t abzubilden. Es bleibt die unangenehm­e Angst vor der Lücke, der Mut zur Lücke schwindet.“

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[ Fotolia/Jürgen Effner ]

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