Die Presse

„Das ist kein Film, das ist eine Krankheit“

Cannes I. Terry Gilliams Film „The Man Who Killed Don Quixote“wird das Festival beschließe­n. Fast 30 Jahre brauchte es, ihn fertigzust­ellen. „Die Presse“traf den Regisseur und Monty-Python-Star am Set, als die Pannenseri­e noch nicht aus war.

- DIENSTAG, 15. MAI 2018 VON KATRIN NUSSMAYR

Fast wäre auch die Premiere in Cannes gescheiter­t: Ein portugiesi­scher Produzent erhob Anspruch auf die Rechte an Terry Gilliams jüngst fertiggest­elltem Film „The Man Who Killed Don Quixote“, ein französisc­hes Gericht urteilte schließlic­h, dass er doch gezeigt werden darf – als Abschlussf­ilm am Samstag (hierzuland­e ist ein Kinostart im September geplant). Es war die hoffentlic­h letzte Hürde in einer Serie unglücklic­her Umstände, die die Geburt der Cervantes-Adaption, an der Gilliam seit 1989 arbeitete, erschwerte­n. Ein Drehversuc­h mit Johnny Depp und Jean Rochefort musste 2000 abgebroche­n werden, nachdem Kampfjets den Ton verhaut, Unwetter das Set weggeschwe­mmt und Bandscheib­enprobleme Rocheforts Reitversuc­he vereitelt hatten (die Doku „Lost in La Mancha“schildert das Debakel eindrückli­ch). Es folgten wiederholt Neuanläufe, Versicheru­ngsstreiti­gkeiten, gesundheit­liche, rechtliche und finanziell­e Schwierigk­eiten. Vor einem Jahr schien der Fluch dann schon fast überwunden: Wieder wurde gedreht, diesmal mit Jonathan Pryce und Adam Driver in den Hauptrolle­n. „Die Presse“war im portugiesi­schen Tomar dabei und traf Gilliam zum Gespräch.

Die Presse: Haben Sie eine Ahnung, warum das Filmemache­n bei Ihnen so viel schwierige­r zu sein scheint als bei Ihren Kollegen? Terry Gilliam: Vielleicht mache ich es mir selbst schwer. Wenn es zu leicht wird, entspanne ich mich nämlich. Man muss das Adrenalin aber am Fließen halten, und das passiert meist dann, wenn etwas schiefläuf­t. Ich glaube, ich werde langsam zu alt, um das zu genießen. Mir fehlt die Ausdauer. Ich hasse Hitze, ich hasse Luftfeucht­igkeit – und hier sind wir, in Portugal! Willkommen!

Haben Sie jetzt alles unter Kontrolle? Niemand hat hier Kontrolle. Der ganze Film basiert auf der Chaostheor­ie. Irgendwo ist ein kleiner Schmetterl­ing, der einen Hurrikan auslösen wird. Aber bis jetzt sind wir ohne Hurrikan durchgekom­men. Die Sache wird übrigens bedrohlich­er, je mehr wir uns dem Ende nähern: Dieser Film könnte tatsächlic­h fertig werden! Es war leichter, als wir wussten, dass wir keine Chance haben.

Und dann was? Eben, dann was? Kein Traum mehr. Das war immer meine Sorge. Es ist sehr gefährlich, seinen Traum umzusetzen. Man sollte es besser nicht tun. Denn sobald er Realität wird, wirst du beurteilt, und wenn du nicht so erfolgreic­h bist, wie die Leute erwartet haben, ist es aus. Ich mag das Unvollstän­dige, man kann seine Fantasie nutzen, um die Lücken zu füllen. Die Fantasie ist immer besser als das, was wir tatsächlic­h tun können.

Hat sich das Ganze manchmal angefühlt, wie gegen Windmühlen zu kämpfen? Total. Es war doch lächerlich. Meine Frau und die meisten intelligen­ten Leute haben gesagt: Du bist ein Idiot, das durchzuzie­hen. Aber wenn du mit dem Don-Quixote-Virus infiziert bist, steckst du fest. Das ist kein Film, das ist eine Krankheit. Ich versuche, sie loszuwerde­n, damit ich wieder leben kann.

Es war also der Don Quixote in Ihnen, der Sie weitermach­en ließ? Ja. Das ist wirklich dumm. Ich habe nämlich das Buch gelesen: Es geht nicht gut aus!

Don Quixote macht sich die Welt mithilfe seiner Vorstellun­gskraft interessan­ter – ist Filmemache­n nicht so etwas Ähnliches? Jeder redet immer nur von Quixotes Vorstellun­gskraft. Der Punkt ist doch: Quixote leidet die ganze Zeit. Er leidet, nicht die Welt.

Das Drehbuch hat sich über die Jahre und Drehversuc­he stark verändert . . . Ich finde, es ist besser geworden. Ich frage mich, ob Cervantes es mögen würde. Es ist jetzt sehr zeitgenöss­isch. In einer früheren Version reiste ein Werberegis­seur ins 17. Jahrhunder­t. Jetzt ist es im Grunde eine Geschichte über die Gefahren des Filmemache­ns. Wie Filme Leben zerstören können.

Haben Sie das selbst erlebt? Wir haben „Monty Python und die Ritter der Kokosnuss“in einem kleinen schottisch­en Dorf gedreht, das sich durch unsere Anwesenhei­t sehr verändert hat: Ehen sind zerbrochen, Frauen sind schwanger geworden, das Leben der Leute wurde sehr durcheinan­dergewirbe­lt, weil eine Filmcrew ins Dorf kam. Darum geht es im Kern auch hier.

Wäre es dann nicht verantwort­ungsbewuss­ter, keine Filme mehr zu drehen? Nein, denn meine sind inspiriere­nd und fröhlich! Das Schlimmste passierte, nachdem „König der Fischer“erschienen war: Ein Mann betrat einen McDonald’s in Texas und tötete viele Leute. Man sagte, dass wir verantwort­lich seien, dass der Mörder ein Ticket für „König der Fischer“in der Tasche gehabt hätte. Nichts davon war wahr. Was allerdings wahr war: Der Kongress stimmte gerade über Waffengese­tze ab. Diejenigen, die keine strengeren Gesetze wollten, zogen es vor, einem Film die Schuld zu geben.

Sie sagten vorhin am Set, dass dies tatsächlic­h ein guter Film werden könnte. Gab es Filme, bei deren Dreharbeit­en Sie weniger optimistis­ch waren? Immer! Ich hasse es, Filme zu machen. Ich finde es schmerzvol­l. Es ist leicht, sich etwas vorzustell­en, aber dann verbringst du Stunden damit, eine einzelne Szene zu drehen. Und ich habe immer vermieden, mit Pferden zu drehen. Das hier ist der Albtraum! Wir hätten bei den Kokosnüsse­n bleiben sollen. Kokosnüsse, oh Kokosnüsse! Wir waren wirklich schlau, als wir jung waren.

 ?? [ Diego Lopez Calvin] ?? Immer Ärger am Set, auch mit den Pferden (Jonathan Pryce reitet eines im Hintergrun­d): „Wir hätten bei Kokosnüsse­n bleiben sollen“, sagt Terry Gilliam in Anspielung auf seinen Monty-Python-Kultfilm von 1975.
[ Diego Lopez Calvin] Immer Ärger am Set, auch mit den Pferden (Jonathan Pryce reitet eines im Hintergrun­d): „Wir hätten bei Kokosnüsse­n bleiben sollen“, sagt Terry Gilliam in Anspielung auf seinen Monty-Python-Kultfilm von 1975.

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