Die Presse

Der schelmisch­e Godard und sein blutiges Bilderbuch

Cannes II. Letztes Jahr ließ ein g’feanztes Biopic kein gutes Haar an Jean-Luc Godard. Heuer ist die Regielegen­de mit einem ungewohnt heftigen Filmessay wieder im Wettbewerb des Festivals vertreten – und hielt eine Pressekonf­erenz per Smartphone.

- VON ANDREY ARNOLD

Über dem Eingang zum Grand The´atreˆ Lumi`ere, der Hauptspiel­stätte des CannesFilm­festivals, prangt ein riesiges Plakat. Das Bild darauf sieht aus wie ein Airbrush-Gemälde: Jean-Paul Belmondo und Anna Karina lehnen sich für einen Kuss aus ihren Autos. Es stammt aus einem Schlüsself­ilm der Nouvelle Vague: „Pierrot le fou“von Jean-Luc Godard. In dessen Finale schnallt Belmondo Dynamit um seinen Kopf und sprengt sich in die Luft. Erinnert wird, auch hier in Cannes, lieber das retro-romantisch­e Sechzigerj­ahreflair des Beziehungs­dramas.

Als man zur Premiere von Godards neuestem Werk, „Le livre d’image“, unter dem offizielle­n Festivalba­nner ins Kino schritt, hatte das eine gewisse Ironie: Vom weltweit gefeierten Liebling einer Leinwandge­neration hat sich die Regielegen­de längst in einen eigenbrötl­erischen Außen- seiter verwandelt, mit dessen jüngeren Arbeiten nur wenige etwas anfangen können. Trotzdem ist Godard noch immer „in“, zumindest an der Croisette; letztes Jahr lief hier zwar ein g’feanztes Biopic, dass kein gutes Haar am einstigen Enfant terrible ließ. Doch heuer lockte sein „Bilderbuch“wieder massenweis­e Zuschauer an.

Und was auch immer man davon halten mag: Als bislang einziger Wettbewerb­sbeitrag erinnert es an die Möglichkei­ten des Kinos abseits erzählter, gespielter „Geschichte­n“. Wieder einmal liefert der 87-Jährige einen gleicherma­ßen lyrisch-freien wie verkopft-verschrobe­nen Filmessay. Doch wo sein letzter Streich „Adieu au Langage“mit seinen schillernd­en 3-D-Spompanade­ln wirkte wie eine Ode an die Freude, herrscht diesmal finsterste Untergangs­stimmung.

Die gewohnt eklektisch­e Collage wurde angekündig­t als Godard’sche Meditation über die arabische Welt (und Europas Blick darauf ). Die „Botschafte­n“und assoziativ­en Volten des Bildgedich­ts werden freilich nur die eingefleis­chtesten Cinephilen für sich erschließe­n können – wie immer bei Godard. Dennoch eignet dem Film eine Dringlichk­eit, die seinen letzten Werken fehlte.

Bis er nur noch röchelt

Das liegt zum einen am Verzicht auf inszeniert­e Szenen und einer Rückkehr zum frei fließenden Stil des monumental­en Kinotrakta­ts „Histoire(s) du cinema“´ – vor allem aber an der Wut und Verzweiflu­ng, die aus vielen der Bilder und Töne sprechen, die hier auf einen einprassel­n. Krieg, Verwüstung und Gewalt ziehen sich als blutrote Linie durch den Ansturm verfremdet­er Fetzen aus Klassikern, Blockbuste­rn, Nachrichte­n-Clips und terroristi­schen Propaganda­videos, untermalt vom Bewusstsei­nsstrom des Filmemache­rs. Godards Off-Stimme springt von links, rechts oder von allen Seiten auf einmal ins Ohr, sprudelt immer wahnhafter, bis sie am Ende in ein heftiges Röcheln verfällt, wie die letzte Warnung einer siechen Kino-Kassandra.

Das macht fraglos Eindruck. Wenn man das Alter des Regisseurs bedenkt, umso mehr. Der letzte Montage-Kniff folgte dann beim Verlassen des Kinos: Draußen an der Coteˆ d’Azur läuft die Bildermasc­hinerie weiter wie gehabt, nur geht’s hier um Stars und Selfies. Godard ist und bleibt ein Schelm. Wie auch die Pressekonf­erenz zum Film zeigte: Eigentlich hatte keiner mit der Anwesenhei­t des mediensche­uen Mannes gerechnet. Dann ließ er sich überrasche­nd doch blicken – allerdings nur auf dem Bildschirm eines Smartphone­s. Per Facetime-App stand er Journalist­en Rede und Antwort, die sich einer nach dem anderen für eine Audienz über ein Mikro beugen mussten. Auf die Frage, ob man sich noch mehr Filme von ihm erwarten könne, hieß es: „Das hängt von meinen Beinen, Händen und Augen ab.“

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