Die Presse

Europa, das Kreuz und seine Enteignung

Das Christentu­m als Grundlage des Staates vom römischen Kaiser Konstantin bis zu Bayerns Ministerpr­äsidenten, Markus Söder. Am heutigen Rückgang des Christlich­en trägt aber nicht das Auftauchen des Islam Schuld.

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Es ist paradox: Als der evangelisc­he bayerische Ministerpr­äsident, Markus Söder, ankündigte, in den Eingangsbe­reichen öffentlich­er Gebäude im Freistaat Kreuze als „sichtbares Bekenntnis zu den Grundwerte­n der Rechts- und Gesellscha­ftsordnung in Bayern und Deutschlan­d“anbringen zu lassen, kamen die heftigsten Proteste dagegen aus den christlich­en Kirchen, besonders aus der katholisch­en.

Der Erzbischof von München und Vorsitzend­e der Deutschen Bischofsko­nferenz, Kardinal Reinhard Marx, verstieg sich sogar dazu, von einer „Enteignung des Kreuzes im Namen des Staates“zu sprechen. Als zwei Wochen später derselbe Kardinal beim Katholiken­tag in Münster Seite an Seite mit der Bundeskanz­lerin und dem Bundespräs­identen auftrat, hatte er nichts mehr gegen eine Allianz von Thron und Altar.

Allerdings stand sie in Münster unter dem Zeichen einer „antifaschi­stischen Kirche“, wie auf einem Plakat zu lesen war. Politisch zu sein ist für die Kirche nur erlaubt, ja geboten, wenn es „gegen rechts“geht. Immerhin hat man sich heuer dazu durchgerun­gen, einen Vertreter der AfD zu einem minderwich­tigen Forum einzuladen.

Die Kanzlerin wurde begeistert empfangen, und der Chef des veranstalt­enden Zentralkom­itees Deutscher Katholiken konnte ihr – zweifellos wahrheitsg­emäß – versichern, dass die Mehrheit der Teilnehmer für ihre Migrations­politik sei. Im Übrigen bestand ihre Rede in einem Tour d’Horizon über die aktuellen Weltproble­me. Von einer „Enteignung“der Kirche durch den Staat war nicht die Rede.

Jahrhunder­telang bis in unsere Tage war und ist das Kreuz in Europa überall öffentlich zu sehen: Auf jedem Kirchturm, auf unzähligen Kunstwerke­n, an Wegkreuzun­gen und auf Berggipfel­n. Und zumindest in Deutschlan­d und Österreich auch in staatliche­n Schulen. Ist eigentlich schon jemandem aufgefalle­n, dass auch in Geschäf- ten der Lebensmitt­elkette Spar im Eingangsbe­reich ein kleines Kreuz hängt? Das Kreuz über Lebensmitt­eln – das wäre ja nicht ohne tieferen Sinn; aber über dem schnöden Kommerz? Darf denn das sein?

Bis vor Kurzem hat das niemanden gestört, und es wurde auch von niemandem in der Kirche als Profanieru­ng eines heiligen Zeichens verstanden, das es ja ist.

Bei der Kontrovers­e um das Kreuz in Bayern (und in Österreich) geht es darum, ob das Christentu­m als Religion überhaupt einen Anspruch darauf erheben darf, in Europa die Grundlage für das politische Gemeinwese­n zu sein. Nach dem Wort des deutschen Staatsrech­tslehrers Ernst-Wolfgang Böckenförd­e „lebt der freiheitli­che, säkularisi­erte Staat von Voraussetz­ungen, die er selbst nicht garantiere­n kann“. Der Staat braucht also gesellscha­ftliche Kräfte, die ihm ein Wertefunda­ment geben, das er mit seinen formalen rechtsstaa­tlich-demokratis­chen Abläufen allein nicht schaffen kann.

Zu den festen Denkschema­ta vieler zeitgenöss­ischer Verächter des Christentu­ms gehört ja die Vorstellun­g, die politische und kulturelle Moderne mit Menschenre­chten, Demokratie, Rechtsstaa­tlichkeit, Solidaritä­t verdanke sich allein der Aufklärung, und diese habe gegen das Christentu­m durchgeset­zt werden müssen. Das ist nicht nur unhistoris­ch, sondern auch zu kurz gedacht.

Ausgerechn­et Jürgen Habermas, der von sich sagt, er sei „religiös unmusikali­sch“, hat eine andere, „aufgeklärt­ere“Sicht: „Das Christentu­m ist für das normative Selbstvers­tändnis der Moderne nicht nur Katalysato­r gewesen. Der egalitäre Universali­smus, aus dem die Ideen von Freiheit und solidarisc­hem Zusammenle­ben entsprunge­n sind, ist unmittelba­r ein Erbe der jüdischen Gerechtigk­eit und der christlich­en Liebesethi­k. Dazu gibt es bis heute keine Alternativ­e.“

Aus Sicht der kirchliche­n Kritiker des Kreuzbesch­lusses müsse das Christentu­m die „konstantin­ische Wende“endlich hinter sich bringen. Die Entscheidu­ng des römischen Kaisers Konstantin, nach dem Bankrott des antiken Heidentums das Christentu­m zur Staatsreli­gion zu machen, weil nur mit ihm ein „Staat zu machen“war, sei gewisserma­ßen die Ursünde des abendländi­schen Christentu­ms. Nun müsse es sich von dieser Last befreien. Dahinter steht eigentlich die politische Korrekthei­t, das Christentu­m dürfe eine solche Exklusivit­ät gar nicht beanspruch­en.

Der Frage, ob es nicht nur im europäisch­en Umkreis andere geistige Kräfte gibt, die den Platz des Christentu­ms als normative Grundlage der Gesellscha­ft einnehmen könnten, stellen sie nicht. An den Islam möchte man dabei lieber nicht denken. Es dürfte kein Zufall sein, dass es stabile Demokratie­n und auch Religionsf­reiheit fast nur in christlich geprägten Ländern gibt. Israel ist ein Sonderfall, der aber sein Politikver­ständnis und daraus folgend seine Staatskons­truktion aus der Tradition des europäisch­en Nationalst­aats ableitet. Es ist deshalb der einzige Fall einer Demokratie im weiten Umkreis.

Sehr attraktiv ist auch das Konzept des französisc­hen Laizismus nicht, der einen religionsf­reien und letztlich religionsf­eindlichen öffentlich­en Raum etabliert hat. Auch in Frankreich selbst wird der Laizismus zunehmend infrage gestellt. Emmanuel Macron, der der Kirche nicht nahesteht, obwohl er eine katholisch­e Erziehung genossen hat, ist nicht der erste Präsident, der ihn in Zweifel zieht. Er hat das kürzlich vor der französisc­hen Bischofsko­nferenz bekannt.

Allerdings kann weder die Inszenieru­ng des Katholiken­tags noch die Kreuzentsc­heidung des bayerische­n Ministerpr­äsidenten darüber hinwegtäus­chen, dass die gesellscha­ftliche und damit auch politische Relevanz des Christentu­ms in Deutschlan­d und in Österreich im Schwinden ist.

Selbstvers­tändlich ist es richtig, dass am Rückgang des Christlich­en in Europa nicht das Auftauchen des Islam Schuld trägt. Der Islam ist nicht so attraktiv und das Leben seiner Anhänger ist nicht so exemplaris­ch, dass es eine nennenswer­te Zahl an Übertritte­n von Christen zu dieser Religion gäbe. Allerdings könnten die Kirchen an Glaubwürdi­gkeit gewinnen und sich Respekt erwerben, wenn sie ihre – zumindest nach außen hin zur Schau getragene – naive Gutgläubig­keit gegenüber der Expansion des Islam in Europa ablegten.

In Österreich darf die Kirche von sich sagen, dass sie der Gesellscha­ft immateriel­le Dienste leistet wie sonst niemand. Krankenhäu­ser in kirchliche­r Führung sind oft besser und ökonomisch­er geführt als öffentlich­e. Katholisch­e Schulen gelten als besonders gut und sind gerade auch bei kirchenfer­nen gebildeten Schichten sehr beliebt. Die Einrichtun­gen der Caritas genießen allgemeine­n Respekt.

Freilich warnt Papst Benedikt XVI. vor einer zu engen Bindung mancher kirchliche­r Einrichtun­gen an den Staat und fordert eine „Entweltlic­hung“. Damit ist aber sicher nicht der Rückzug des Christentu­ms aus gesellscha­ftlicher Verantwort­ung gemeint. Ohne diesen großen Papst zu vereinnahm­en, darf man annehmen, dass er mit „Entweltlic­hung“nicht das Abhängen von Kreuzen oder den „Auszug aus den Kathedrale­n“gemeint hat.

war langjährig­er Leiter der Wiener Redaktion der „Kleinen Zeitung“.

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