Über alternative Fakten in Zeiten fokussierter Unintelligenz
Dass die FPÖ an ihrem Kandidaten für den Stiftungsvorsitz festhält, ist betrüblich: Als Aspirant für den Posten sollte er zumindest Basics des ORF-Gesetzes kennen.
Stichhaltige Gerüchte, alternative Fakten: Mit zweideutigen Sätzen eindeutige Aussagen zu platzieren, war jahrzehntelang Alleinstellungsmerkmal blauer Farbenträger. Weil informationsökonomisch bekanntlich Aufmerksamkeit ein knappes Gut ist, haben mittlerweile aber auch andere Parteien kreative Wortwahlen entwickelt.
Da wirft der SPÖ-Chef ebenso unscharf wie unredlich Ständestaat, Dollfuß und AUVA-Reform in einen Topf, erklärt Kanzler und Vizekanzler zur „Moskauer Pyramide“und präzisiert, was darunter zu verstehen sei: zwei Besoffene, die einander stützen. Wodka, Saufen, Moskau – ja eh, ein nicht gerade vorurteilsfreies Russlandklischee als schlagzeilenbringender und socialmediatauglicher Schenkelklopfer. Es folgen: öffentlichkeitswirksame Zurechtweisungen, Richtigstellungen, Entgegnungen, Entschuldigungen, Interviews, Analysen – kurz: Aufmerksamkeit. Und zwischendrin ist Peter Pilz in bester Haider-Manier einmal weg und (bald) wieder da – sexuelle Belästigung hin oder her. Hauptsache, der Name ist richtig geschrieben.
Tabellenerste in der VerbalrabaukenMeisterschaft ist allerdings weiterhin die FPÖ, auch wenn deren Chef, H.-C. Strache, sich merkbar bemüht, vom jugendbewegten Wehrsportler zum bedenkentragenden Staatsmann zu mutieren. Dass im blauen Dunstkreis antisemitische, rassistische Einzelfälle häufiger aufpoppen als in anderen politischen Gruppierungen, ist jedenfalls mehr als bloß ein stichhaltiges Gerücht.
Letzthin diagnostizierte der prospektive FP-Stiftungsratsvorsitzende des ORF einen linken Endkampf in Österreichs Leitmedium und machtfantasierte sich in eine rauschige Entlassungsorgie: Die Hälfte der Korrespondenten werde man feuern, so sie nicht ordentlich berichten. Dass die ÖVP kein Veto gegen Norbert Steger einlegt, ist betrüblich. Und zwar nicht, weil er blau ist, sondern weil er als Aspirant für diesen Posten zumindest die Basics des ORF-Gesetzes kennen sollte: Wenn der Stiftungsrat eines nicht kann, dann ist es, in die innerbetriebliche Per- sonalpolitik einzugreifen oder Korrespondentenbüros zu schließen. So gesehen ist es alarmierend, dass just seine Tochter Petra FP-Generalsekretärin werden soll. Das bedeutet ganz schön viel realpolitische Macht für die Familie Steger.
Natürlich ist der ORF-Generaldirektor nicht sakrosankt. Nur: Je dümmer die Angriffe, desto fester sitzt Alexander Wrabetz im Sattel. Wer sich derzeit gerade aller zu seiner Verteidigung aufschwingt, hätte er vor wenigen Monaten sicher nicht zu träumen gewagt. Und, nein, das ORF-Angebot entspricht nicht immer dem öffentlich-rechtlichen Reinheitsgebot, sondern kommt mitunter als ziemlich aufgemaschelter Privatverschnitt daher. Ob die neuen Channelmanager und die ihnen unterstellten Chefredakteure – das Organigramm erinnert übrigens verblüffend an die gute alte FS1/FS2-Bacher-Zeit – für eine Qualitätsoffensive oder eher für regierungsnahe Wunschprogramme stehen, wird man schon bald sehen.
In Deutschland polemisiert gerade die rechte AfD, in Österreich die FPÖ gegen Rundfunkgebühren.
Der Unterschied: Die einen befinden sich in Opposition, die anderen in der Regierung. Doch ein mutiger(er), unabhängiger(er) ORF sollte eine demokratiepolitische Selbstverständlichkeit sein. Eine – vor Parteipolitik – geschützte Werkstatt? Ja, unbedingt! Ein klares Bekenntnis des Medienministers und/oder Bundeskanzlers wäre hilfreich. Doch die verweisen auf ihre zweitägige Medien-Enquete im Juni.
Da soll diskutiert werden, wie der öffentlich-rechtliche Auftrag in einer zunehmend digitalisierten Welt definiert und weiterentwickelt werden, wie künftige Medienfinanzierung aussehen, und was zeitgemäße Medienpolitik zu sachlicher und unaufgeregter Kommunikation und Information beitragen könnte. Sollte die Enquete nicht nur neutrale Tünche über einem türkisblauen Anstrich sein, scheint das allerdings ein bisschen gar viel Gesprächsstoff für zwei Tage.