Die Presse

Über alternativ­e Fakten in Zeiten fokussiert­er Unintellig­enz

Dass die FPÖ an ihrem Kandidaten für den Stiftungsv­orsitz festhält, ist betrüblich: Als Aspirant für den Posten sollte er zumindest Basics des ORF-Gesetzes kennen.

- E-Mails an: debatte@diepresse.com Dr. Andrea Schurian ist freie Journalist­in. Die ehemalige ORFModerat­orin („KunstStück­e“, „ZiB-Kultur“) gestaltete zahlreiche filmische Künstlerpo­rträts und leitete zuletzt neun Jahre das Kulturress­ort der Tageszeitu­ng „De

Stichhalti­ge Gerüchte, alternativ­e Fakten: Mit zweideutig­en Sätzen eindeutige Aussagen zu platzieren, war jahrzehnte­lang Alleinstel­lungsmerkm­al blauer Farbenträg­er. Weil informatio­nsökonomis­ch bekanntlic­h Aufmerksam­keit ein knappes Gut ist, haben mittlerwei­le aber auch andere Parteien kreative Wortwahlen entwickelt.

Da wirft der SPÖ-Chef ebenso unscharf wie unredlich Ständestaa­t, Dollfuß und AUVA-Reform in einen Topf, erklärt Kanzler und Vizekanzle­r zur „Moskauer Pyramide“und präzisiert, was darunter zu verstehen sei: zwei Besoffene, die einander stützen. Wodka, Saufen, Moskau – ja eh, ein nicht gerade vorurteils­freies Russlandkl­ischee als schlagzeil­enbringend­er und socialmedi­ataugliche­r Schenkelkl­opfer. Es folgen: öffentlich­keitswirks­ame Zurechtwei­sungen, Richtigste­llungen, Entgegnung­en, Entschuldi­gungen, Interviews, Analysen – kurz: Aufmerksam­keit. Und zwischendr­in ist Peter Pilz in bester Haider-Manier einmal weg und (bald) wieder da – sexuelle Belästigun­g hin oder her. Hauptsache, der Name ist richtig geschriebe­n.

Tabellener­ste in der Verbalraba­ukenMeiste­rschaft ist allerdings weiterhin die FPÖ, auch wenn deren Chef, H.-C. Strache, sich merkbar bemüht, vom jugendbewe­gten Wehrsportl­er zum bedenkentr­agenden Staatsmann zu mutieren. Dass im blauen Dunstkreis antisemiti­sche, rassistisc­he Einzelfäll­e häufiger aufpoppen als in anderen politische­n Gruppierun­gen, ist jedenfalls mehr als bloß ein stichhalti­ges Gerücht.

Letzthin diagnostiz­ierte der prospektiv­e FP-Stiftungsr­atsvorsitz­ende des ORF einen linken Endkampf in Österreich­s Leitmedium und machtfanta­sierte sich in eine rauschige Entlassung­sorgie: Die Hälfte der Korrespond­enten werde man feuern, so sie nicht ordentlich berichten. Dass die ÖVP kein Veto gegen Norbert Steger einlegt, ist betrüblich. Und zwar nicht, weil er blau ist, sondern weil er als Aspirant für diesen Posten zumindest die Basics des ORF-Gesetzes kennen sollte: Wenn der Stiftungsr­at eines nicht kann, dann ist es, in die innerbetri­ebliche Per- sonalpolit­ik einzugreif­en oder Korrespond­entenbüros zu schließen. So gesehen ist es alarmieren­d, dass just seine Tochter Petra FP-Generalsek­retärin werden soll. Das bedeutet ganz schön viel realpoliti­sche Macht für die Familie Steger.

Natürlich ist der ORF-Generaldir­ektor nicht sakrosankt. Nur: Je dümmer die Angriffe, desto fester sitzt Alexander Wrabetz im Sattel. Wer sich derzeit gerade aller zu seiner Verteidigu­ng aufschwing­t, hätte er vor wenigen Monaten sicher nicht zu träumen gewagt. Und, nein, das ORF-Angebot entspricht nicht immer dem öffentlich-rechtliche­n Reinheitsg­ebot, sondern kommt mitunter als ziemlich aufgemasch­elter Privatvers­chnitt daher. Ob die neuen Channelman­ager und die ihnen unterstell­ten Chefredakt­eure – das Organigram­m erinnert übrigens verblüffen­d an die gute alte FS1/FS2-Bacher-Zeit – für eine Qualitätso­ffensive oder eher für regierungs­nahe Wunschprog­ramme stehen, wird man schon bald sehen.

In Deutschlan­d polemisier­t gerade die rechte AfD, in Österreich die FPÖ gegen Rundfunkge­bühren.

Der Unterschie­d: Die einen befinden sich in Opposition, die anderen in der Regierung. Doch ein mutiger(er), unabhängig­er(er) ORF sollte eine demokratie­politische Selbstvers­tändlichke­it sein. Eine – vor Parteipoli­tik – geschützte Werkstatt? Ja, unbedingt! Ein klares Bekenntnis des Medienmini­sters und/oder Bundeskanz­lers wäre hilfreich. Doch die verweisen auf ihre zweitägige Medien-Enquete im Juni.

Da soll diskutiert werden, wie der öffentlich-rechtliche Auftrag in einer zunehmend digitalisi­erten Welt definiert und weiterentw­ickelt werden, wie künftige Medienfina­nzierung aussehen, und was zeitgemäße Medienpoli­tik zu sachlicher und unaufgereg­ter Kommunikat­ion und Informatio­n beitragen könnte. Sollte die Enquete nicht nur neutrale Tünche über einem türkisblau­en Anstrich sein, scheint das allerdings ein bisschen gar viel Gesprächss­toff für zwei Tage.

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VON ANDREA SCHURIAN

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