Die Presse

Über Küsse schreiben im Iran

Literatur. Iranische Autoren finden nur schwer zu westlichen Lesern – dabei helfen sie, das politisch brisante Land zu verstehen: „Die Presse“gibt Lesetipps.

- VON ANNE-CATHERINE SIMON

Iranische Autoren wie Ramita Navai helfen, das Land zu verstehen. „Die Presse“gibt Lesetipps.

Wie beschreibt man einen Kuss im Auto so, dass er die Zensoren nicht erzürnt und die Leser trotzdem wissen, was gemeint ist? Eine der im Iran populärste­n Autorinnen, Fariba Vafi, scheiterte daran kläglich, wie sie vor einiger Zeit bei einem Auftritt in Deutschlan­d gestand. „Ich habe mich so sehr bemüht, diese Intimität zu umschreibe­n, und war überzeugt, dass es mir gut gelungen ist“, erzählte sie da. „Bis mich nach einer Lesung ein Zuhörer fragte, warum die beiden Hauptperso­nen im Auto versuchen würden, sich gegenseiti­g umzubringe­n.“

Nicht nur äußere, auch innere Zensur ist für iranische Autoren und Autorinnen, die im Land bleiben und dort Leser finden wollen, von einer für heutige Europäer schwer begreiflic­hen Selbstvers­tändlichke­it. Sogar für die 55-jährige Fariba Vafi, deren Romane und Erzählunge­n – zumindest vordergrün­dig – „nur“von zwischenme­nschlichen Beziehunge­n handeln. Jedes in ihrer Heimat veröffentl­ichte Werk sei in gewisser Hinsicht unvollende­t, sagt sie – weil es die eigene verinnerli­chte Zensur durchlaufe­n habe.

Auch Lüge kann die Wahrheit verraten

Trotzdem kann die im Iran entstehend­e Literatur das wieder in die politische­n Schlagzeil­en geratene Land westlichen Lesern nahebringe­n – ja, gerade auch durch all ihre Schleichwe­ge, notwendige­n Verzerrung­en, das Ungesagte. „Stellen wir eines klar: Um im Iran leben zu können, musst du lügen“, beginnt die britisch-iranische Journalist­in Ramita Navai ihr Buch „City of Lies“(auf Deutsch „Stadt der Lügen. Liebe, Sex und Tod in Teheran“, Kein und Aber Verlag, 2016). Navai musste nicht lügen, sie hat selbst nur kurz in Teheran gelebt, das Buch basiert auf Gesprächen mit acht anonymen jungen Teheranern. Es war ein Bestseller.

Bücher von iranischen, im Iran publiziere­nden Autoren schaffen das im Westen so gut wie nie. An der Qualität der Schriftste­ller in diesem Land mit einer unerhörten literarisc­hen – vor allem lyrischen – Tradition liegt das nicht. Vielmehr an fehlenden, oft Jahrzehnte nach dem Original erscheinen­den Übersetzun­gen und ihrer, wie Experten beklagen, mangelnden Qualität, die selten ein Gefühl für den besonderen Ton des Originals ermöglicht – außerdem an der internatio­nalen Isolierthe­it der Autoren. Und auch am fehlenden Interesse. Iranische Exilautore­n erhalten im Westen noch leichter Aufmerksam­keit, Verlage, Leser.

 ??  ??
 ??  ?? Ihr Buch „City of Lies“über das Leben in Teheran wurde zler: Die britisch-iranische Journalist­in Ramita Navai lebte selbst allerdings nur kurz im Iran.
Ihr Buch „City of Lies“über das Leben in Teheran wurde zler: Die britisch-iranische Journalist­in Ramita Navai lebte selbst allerdings nur kurz im Iran.

Newspapers in German

Newspapers from Austria