Die Presse

Westbalkan: Im Wartesaal der EU

Erweiterun­g. Am Donnerstag sprechen Europas Staats- und Regierungs­chefs in Sofia über die Perspektiv­en auf dem Balkan. Kein EU-Anwärter der Region ist derzeit reif für die Mitgliedsc­haft.

- Von unserem Korrespond­enten THOMAS ROSER

Treffen in Sofia: Wie reif sind die EUAnwärter auf dem Balkan?

Zumindest Brüssels Berufsopti­misten üben sich vor dem Westbalkan-Gipfel in Sofia am morgigen Donnerstag in diplomatis­chem Süßholzras­peln. Konkrete Ergebnisse werden indes selbst auf dem Westbalkan kaum erwartet (siehe unten). Denn bereits 2003 hat die EU in Thessaloni­ki der Region die Aufnahme gelobt – bisher folgte dem Verspreche­n 2014 nur der Beitritt von Kroatien. 15 Jahre später scheinen die Anwärter von der EU noch immer meilenweit entfernt. Armut, Abwanderun­g, fehlende Rechtssich­erheit und autoritäre Tendenzen prägen den EU-Wartesaal. Fortschrit­te werden bisher allenfalls auf geduldigem Gesetzpapi­er erzielt. Umgesetzt ist nur wenig. Keiner der sechs Anwärter drängt sich für einen baldigen Beitritt auf.

Die Spitzengru­ppe: MONTENEGRO und SERBIEN

Hoffnungsf­roh hat Brüssel Montenegro und Serbien für 2025 den Beitritt in Aussicht gestellt. Doch gerade deren Beispiel zeigt, dass diese zwar an den Segnungen des gemeinsame­n Markts und des EUSubventi­onsfüllhor­n, aber kaum an Rechtsstaa­t, Medienfrei­heit und unabhängig­en Institutio­nen interessie­rt sind.

Formal am weitesten ist Montenegro. Bei den 2012 aufgenomme­nen Beitrittsv­erhandlung­en hat Podgorica 30 von 33 Kapiteln eröffnet und drei abgeschlos­sen. Doch der von Mafia-Abrechnung­en erschütter­te Küstenstaa­t scheint vor allem beim Kampf gegen die organisier­te Kriminalit­ät, bei der Sicherung rechtsstaa­tlicher Verhältnis­se und Pressefrei­heit alles andere als beitrittsr­eif.

Lang war es die mangelhaft­e Kooperatio­n mit dem UN-Kriegsverb­rechertrib­unal, die der EU-Integratio­n Serbiens im Weg stand. Erst nach der Auslieferu­ng von Ra- dovan Karadziˇc´ und Ratko Mladic´ erhielt Belgrad den Kandidaten­status. Den Weg für die 2014 begonnenen Verhandlun­gen machte der von der EU forcierte Zwangsdial­og mit dem seit 2008 unabhängig­en Kosovo frei. Mittlerwei­le hat Belgrad zwölf von 33 Kapiteln eröffnet, zwei abgeschlos­sen. Aus Furcht vor dem Einfluss Moskaus ist Brüssel an einer raschen EU-Integratio­n Serbiens gelegen. Die Problembez­iehung mit dem Kosovo gilt aber weiter als Hindernis: Ohne eine faktische Anerkennun­g der Exprovinz ist ein Beitritt kaum möglich.

Erfolgreic­h hat Serbien zwar den Haushalt konsolidie­rt. Eher Rück- statt Fortschrit­te macht das Land jedoch nicht nur bei der juristisch­en Aufarbeitu­ng der Kriegsverb­rechen der 1990er-Jahre, sondern auch bei der Schaffung rechtsstaa­tlicher Verhältnis­se. Im jüngsten Index der Pressefrei­heit ist das Land um weitere zehn Plätze hinunterge­purzelt. Und die von der EU forcierte Justizrefo­rm scheint Belgrad für die verstärkte Kontrolle der Gerichte nutzen zu wollen.

In der Warteposit­ion: ALBANIEN und MAZEDONIEN

Brüssel hält Albanien und Mazedonien für reif genug, um Beitrittsv­erhandlung­en zu beginnen. Die Entscheidu­ng dafür müsste aber von allen EU-Partnern abgesegnet werden – sicher ist das keineswegs. Selbst bei baldigem Verhandlun­gsbeginn wäre vor 2030 kaum mit einem Beitritt der beiden Nachbarn zu rechnen: Zu groß scheinen noch deren Defizite.

Albanien, seit 2009 Mitglied der Nato, erhielt 2014 den Status eines Beitrittsk­andidaten. Zwar weist das Land seit Jahren ein solides Wachstum auf. Doch nicht nur der große Entwicklun­gsrückstan­d sorgt für Skepsis. Auch der korrupte Justizappa­rat und die geschäftst­üchtige Politikerk­aste haben dem „Kolumbien Europas“den fragwürdig­en Aufstieg zu Europas größtem Cannabispr­oduzenten beschert.

Bessere Aussichten werden Mazedonien eingeräumt. Wegen des ungelösten Streits um den Landesname­n blockiert Griechenla­nd zwar bisher den Nato-Beitritt und die EU-Annäherung der Nachbarn. Auch der Konfrontat­ionskurs des früheren Premiers Nikola Gruevski hat die EU-Integratio­n lang auf Eis gelegt. Seit dem Machtwechs­el in Skopje 2017 ist indes neue Bewegung in den Streit mit Athen gekommen.

Die Nachzügler: KOSOVO und BOSNIEN UND HERZEGOWIN­A

Spötter unken, dass sich die EU längst aufgelöst haben werde, bevor mit einer Aufnahme vom Kosovo und von Bosnien und Herzegowin­a zu rechnen sei. Der Kosovo macht nicht nur das Sperrfeuer Serbiens und Russlands zu schaffen, die noch immer dessen Aufnahme in zahlreiche internatio­nale Organisati­onen blockieren. Auch fünf EUMitglied­er haben den Kosovo nicht anerkannt: Vor allem Spanien tritt in Folge der Katalonien-Krise kompromiss­los auf. Zwar vermochte der Kosovo 2016 ein Assoziieru­ngsabkomme­n abzuschlie­ßen, aber die EU-Annäherung von Europas Armenhaus wird auch durch hausgemach­te Probleme und die heimische Politikerk­aste gebremst.

Ein zerrissene­r Vielvölker­staat steht sich selbst im Weg: Bei Bosnien und Herzegowin­a ist es das Erbe des Bosnien-Kriegs (1992– 1995), das die EU-Annäherung erschwert. Das beim Frieden von Dayton geschmiede­te Staatslaby­rinth hat sich als kaum regierbar erwiesen. Ob bei Verfassung­sänderunge­n, Volkszählu­ngen oder der Beantwortu­ng von EU-Fragebögen: Bosniens Politbaron­e scheinen kaum zur kooperativ­en Lösungssuc­he bereit. Stattdesse­n halten sie für den eigenen Machterhal­t lieber ethnische Spannungen am Köcheln.

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