Westbalkan: Im Wartesaal der EU
Erweiterung. Am Donnerstag sprechen Europas Staats- und Regierungschefs in Sofia über die Perspektiven auf dem Balkan. Kein EU-Anwärter der Region ist derzeit reif für die Mitgliedschaft.
Treffen in Sofia: Wie reif sind die EUAnwärter auf dem Balkan?
Zumindest Brüssels Berufsoptimisten üben sich vor dem Westbalkan-Gipfel in Sofia am morgigen Donnerstag in diplomatischem Süßholzraspeln. Konkrete Ergebnisse werden indes selbst auf dem Westbalkan kaum erwartet (siehe unten). Denn bereits 2003 hat die EU in Thessaloniki der Region die Aufnahme gelobt – bisher folgte dem Versprechen 2014 nur der Beitritt von Kroatien. 15 Jahre später scheinen die Anwärter von der EU noch immer meilenweit entfernt. Armut, Abwanderung, fehlende Rechtssicherheit und autoritäre Tendenzen prägen den EU-Wartesaal. Fortschritte werden bisher allenfalls auf geduldigem Gesetzpapier erzielt. Umgesetzt ist nur wenig. Keiner der sechs Anwärter drängt sich für einen baldigen Beitritt auf.
Die Spitzengruppe: MONTENEGRO und SERBIEN
Hoffnungsfroh hat Brüssel Montenegro und Serbien für 2025 den Beitritt in Aussicht gestellt. Doch gerade deren Beispiel zeigt, dass diese zwar an den Segnungen des gemeinsamen Markts und des EUSubventionsfüllhorn, aber kaum an Rechtsstaat, Medienfreiheit und unabhängigen Institutionen interessiert sind.
Formal am weitesten ist Montenegro. Bei den 2012 aufgenommenen Beitrittsverhandlungen hat Podgorica 30 von 33 Kapiteln eröffnet und drei abgeschlossen. Doch der von Mafia-Abrechnungen erschütterte Küstenstaat scheint vor allem beim Kampf gegen die organisierte Kriminalität, bei der Sicherung rechtsstaatlicher Verhältnisse und Pressefreiheit alles andere als beitrittsreif.
Lang war es die mangelhafte Kooperation mit dem UN-Kriegsverbrechertribunal, die der EU-Integration Serbiens im Weg stand. Erst nach der Auslieferung von Ra- dovan Karadziˇc´ und Ratko Mladic´ erhielt Belgrad den Kandidatenstatus. Den Weg für die 2014 begonnenen Verhandlungen machte der von der EU forcierte Zwangsdialog mit dem seit 2008 unabhängigen Kosovo frei. Mittlerweile hat Belgrad zwölf von 33 Kapiteln eröffnet, zwei abgeschlossen. Aus Furcht vor dem Einfluss Moskaus ist Brüssel an einer raschen EU-Integration Serbiens gelegen. Die Problembeziehung mit dem Kosovo gilt aber weiter als Hindernis: Ohne eine faktische Anerkennung der Exprovinz ist ein Beitritt kaum möglich.
Erfolgreich hat Serbien zwar den Haushalt konsolidiert. Eher Rück- statt Fortschritte macht das Land jedoch nicht nur bei der juristischen Aufarbeitung der Kriegsverbrechen der 1990er-Jahre, sondern auch bei der Schaffung rechtsstaatlicher Verhältnisse. Im jüngsten Index der Pressefreiheit ist das Land um weitere zehn Plätze hinuntergepurzelt. Und die von der EU forcierte Justizreform scheint Belgrad für die verstärkte Kontrolle der Gerichte nutzen zu wollen.
In der Warteposition: ALBANIEN und MAZEDONIEN
Brüssel hält Albanien und Mazedonien für reif genug, um Beitrittsverhandlungen zu beginnen. Die Entscheidung dafür müsste aber von allen EU-Partnern abgesegnet werden – sicher ist das keineswegs. Selbst bei baldigem Verhandlungsbeginn wäre vor 2030 kaum mit einem Beitritt der beiden Nachbarn zu rechnen: Zu groß scheinen noch deren Defizite.
Albanien, seit 2009 Mitglied der Nato, erhielt 2014 den Status eines Beitrittskandidaten. Zwar weist das Land seit Jahren ein solides Wachstum auf. Doch nicht nur der große Entwicklungsrückstand sorgt für Skepsis. Auch der korrupte Justizapparat und die geschäftstüchtige Politikerkaste haben dem „Kolumbien Europas“den fragwürdigen Aufstieg zu Europas größtem Cannabisproduzenten beschert.
Bessere Aussichten werden Mazedonien eingeräumt. Wegen des ungelösten Streits um den Landesnamen blockiert Griechenland zwar bisher den Nato-Beitritt und die EU-Annäherung der Nachbarn. Auch der Konfrontationskurs des früheren Premiers Nikola Gruevski hat die EU-Integration lang auf Eis gelegt. Seit dem Machtwechsel in Skopje 2017 ist indes neue Bewegung in den Streit mit Athen gekommen.
Die Nachzügler: KOSOVO und BOSNIEN UND HERZEGOWINA
Spötter unken, dass sich die EU längst aufgelöst haben werde, bevor mit einer Aufnahme vom Kosovo und von Bosnien und Herzegowina zu rechnen sei. Der Kosovo macht nicht nur das Sperrfeuer Serbiens und Russlands zu schaffen, die noch immer dessen Aufnahme in zahlreiche internationale Organisationen blockieren. Auch fünf EUMitglieder haben den Kosovo nicht anerkannt: Vor allem Spanien tritt in Folge der Katalonien-Krise kompromisslos auf. Zwar vermochte der Kosovo 2016 ein Assoziierungsabkommen abzuschließen, aber die EU-Annäherung von Europas Armenhaus wird auch durch hausgemachte Probleme und die heimische Politikerkaste gebremst.
Ein zerrissener Vielvölkerstaat steht sich selbst im Weg: Bei Bosnien und Herzegowina ist es das Erbe des Bosnien-Kriegs (1992– 1995), das die EU-Annäherung erschwert. Das beim Frieden von Dayton geschmiedete Staatslabyrinth hat sich als kaum regierbar erwiesen. Ob bei Verfassungsänderungen, Volkszählungen oder der Beantwortung von EU-Fragebögen: Bosniens Politbarone scheinen kaum zur kooperativen Lösungssuche bereit. Stattdessen halten sie für den eigenen Machterhalt lieber ethnische Spannungen am Köcheln.