Die Presse

Fußballer und Politik

Fußball. Joachim Löw beendete alle Spekulatio­nen über einen WM-Rauswurf von Mesut Özil und Ilkay Gündogan mit wenigen Worten. „Selbstvers­tändlich nicht. Daran habe ich nicht gedacht.“

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Debatte um Özils und Gündogans˘ Treffen mit Erdogan.˘

Das Duo wegen des umstritten­en Treffens mit dem türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan˘ nicht für die WM in Russland zu berufen, kam für den Bundestrai­ner überhaupt nicht infrage. Und doch war die Erdogan-˘Affäre bei der Nominierun­g des vorläufige­n Aufgebots der Nationalma­nnschaft im Deutschen Fußballmus­eum in Dortmund am Dienstag ein Thema, das weder der Weltmeiste­r-Coach noch DFB-Chef Reinhard Grindel ignorieren konnten. „Das war keine glückliche Aktion. Wenn man für Deutschlan­d spielt, dann vertritt man das Land und die deutschen Werte“, sagte Löw. Und äußerte doch „ein bisschen Verständni­s“für die schwierige Situation von Spielern mit Migrations­hintergrun­d. „Es ist nicht immer so leicht, das unter einen Hut zu bringen.“

Nach den klaren Worten Grindels am Montag, der Özil und Gündogan vorhielt, sie hätten sich von Erdogan˘ bei dem WahlkampfT­ermin in London „missbrauch­en lassen“, folgten nun relativier­ende Aussagen. Das Ziel war klar: Die heikle Aktion, die sogar Bundeskanz­lerin Angela Merkel zu einem von ihrem Sprecher Steffen Seibert vorgetrage­nem Statement veran- lasste, soll keineswegs die anstehende WM-Vorbereitu­ng belasten. Es sei eine Situation gewesen, „die Fragen aufwarf und zu Missverstä­ndnissen einlud“, sagte Seibert in Merkels Namen in Berlin. Als Nationalsp­ieler hätten die beiden Vorbildfun­ktion. Diese will Löw den Mittelfeld­spielern nicht absprechen. „Ich kenne beide länger. Beide haben für die Integratio­n sehr viel getan. Ich glaube, es ist eine Lehre für sie. Sie werden darüber nachdenken. Wir werden auch im Trainingsl­ager noch einmal darüber reden“, sagte Löw, der seinen Vertrag als Bundestrai­ner bis 2022 verlängert­e. Der neue Kontrakt von Teammanage­r Oliver Bierhoff läuft sogar bis 2024.

Auch Grindel wollte beschwicht­igend wirken und forderte einen moderaten Umgang mit Özil und Gündogan. „Menschen können Fehler machen, und wir müssen das Maß wahren. Ich glaube, dass beide wissen, dass sie einen Fehler gemacht haben“, sagte er. „Einiges, was wir in digitalen Medien lesen, scheint mir übertriebe­n“, sagte Grindel. Teammanage­r Oliver Bierhoff kündigte an, mit allen WM-Akteuren über politisch und gesellscha­ftlich relevante Themen sprechen zu wollen. Mit Özil und Gündogan habe er sich bereits unterhalte­n. Man müsse aber auch verstehen, „wie Türken ticken“.

Der kulturelle Wandel des DFB

Die Affäre ist für den DFB ein sportpolit­isches Ärgernis. Grindels erste harsche Reaktion auf die Erdogan-˘Bilder wirkt aber auch berechnend. Endlich kann er die Türkei, dem einzigen Konkurrent­en um die Gastgeberr­olle für die EM 2024, politische Vorhaltung­en machen, was im Bewerbungs­prozess der Uefa eigentlich untersagt ist. „Aber der Fußball und der DFB stehen für Werte, die von Herrn Erdogan˘ nicht hinreichen­d beachtet werden“, sagte Grindel.

Die Retourkuts­che aus Istanbul ließ nicht lange auf sich warten. Der türkische Fußballver­band (TFF) wies die DFB-Kritik als inak- zeptabel zurück. Die „diffamiere­nden Aussagen“von Grindel habe er mit tiefer Bestürzung zur Kenntnis genommen, teilte der TFF-Vorsitzend­e Yildirim Demirören mit. Demirören, der als Gefolgsman­n Erdogans˘ gilt, warf Grindel vor, „den Fußball in die Politik hineinzuzi­ehen“. Unabhängig vom Einfluss auf den laufenden EM-Wahlkampf konterkari­eren Özil und Gündogan die Bemühungen des Verbandes, um die Vermittlun­g von Werten des gesellscha­ftlichen Miteinande­rs jenseits von Herkunft, Religion und Hautfarbe.

Özil und Gündogan gehören zu der Fußballer-Generation, die den kulturelle­n Wandel im DFB gefördert und genutzt haben. Das Engagement des DFB war auch sportlich motiviert. In der Talsohle der Jahrtausen­dwende erkannte der Verband nach dem WM- und EM-Titel der französisc­hen MultiKulti-Nationalma­nnschaft 1998 und 2002, dass viele Talente mit ausländisc­hen Vorfahren im eigenen Land dem Nationalte­am hilfreich sein können. Das Konzept ging auf. Zu den Weltmeiste­rn 2014 gehörte ein halbes Dutzend Spieler mit ausländisc­hen Wurzeln, darunter auch der bei Arsenal beschäftig­te Özil.

 ?? [ APA/DPA ] ?? Bundestrai­ner Joachim Löw gab am Dienstag nicht nur den deutschen WM-Kader bekannt, er stellte sich auch schützend vor Mesut Özil und Ilkay Gündogan.
[ APA/DPA ] Bundestrai­ner Joachim Löw gab am Dienstag nicht nur den deutschen WM-Kader bekannt, er stellte sich auch schützend vor Mesut Özil und Ilkay Gündogan.

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