Die Presse

Leitartike­l von Wieland Schneider

Die palästinen­sische Bevölkerun­g wird zum Spielball von immer mehr Akteuren – von Israel über die Hamas bis Ankara und Teheran.

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E s ist eine Katastroph­e mit Ankündigun­g. Alle Seiten des Konflikts wussten, was passieren würde. Und sie ließen es auch genau darauf ankommen. So wie schon zu Beginn der Massenprot­este Ende März sind nun erneut Zigtausend­e Palästinen­ser aus dem Gazastreif­en zu den Grenzsperr­en mit Israel gezogen. Und erneut antwortete die israelisch­e Armee mit Tränengas und auch mit scharfer Munition. Dutzende Palästinen­ser starben, mehr als 2000 wurden verletzt – erschrecke­nd viele davon durch Schüsse.

Auch die moralische­n Fragen bleiben dieselben wie schon zu Beginn: Israel hat zwar zweifellos das Recht, die Erstürmung seiner Grenzanlag­en zu verhindern – vor allem auch, um damit das Eindringen von Terrorkomm­andos zu verhindern. Aber gibt es dafür nicht gelindere Mittel, als in großem Ausmaß mit Scharfschü­tzen das Feuer zu eröffnen? Einsatz scharfer Munition durch Sicherheit­skräfte bei – auch gewaltsame­n – Protesten gilt in westlichen Ländern als No-go.

Die Islamisten­organisati­on Hamas im Gazastreif­en wiederum hat zynisch kalkuliert. Sie hat viele der jungen Männer dazu aufgestach­elt, zu den Sperren zu marschiere­n. In vollem Bewusstsei­n, dass sie das das Leben kosten kann. Ja wohl auch in der Hoffnung auf eine möglichst brutale Reaktion der israelisch­en Armee. Um die Bilder, die von den schrecklic­hen Folgen davon um die Welt gehen, für die eigene Propaganda nutzen zu können.

Wenig überrasche­nd ist auch, dass der türkische Präsident, Recep Tayyip Erdogan,˘ erneut Israels Vorgehen scharf verurteilt. Er versteigt sich nun sogar dazu, von „Völkermord“zu sprechen. Es ist just derselbe Erdogan,˘ der im eigenen Land Kritik mit polizeista­atlichen Methoden unterdrück­t. Und der Aufstände in kurdischen Städten im Osten der Türkei mit schweren Waffen niederschl­agen ließ.

Die USA haben sich so wie immer im UN-Sicherheit­srat klar auf die Seite des Verbündete­n Israel gestellt. Die Regierung des Präsidente­n Donald Trump hat angekündig­t, einen neuen Friedenspl­an für den israelisch-palästinen­sischen Konflikt vorlegen zu wollen. Ob man in dieser verfahrene­n Situation in absehbarer Zeit zu einer Lösung kommt, ist aber fraglich.

Die Arabische Liga diskutiert heute bei einer Dringlichk­eitssitzun­g über die tödliche Gewalt an der Grenze zu Gaza und die Verlegung der US-Botschaft nach Jerusalem. Beides wird wohl von den Staaten der Liga kritisiert werden. Hinter den Kulissen wird man sich darüber aber nicht wirklich einig sein.

Schon in den vergangene­n Jahrzehnte­n wurde immer wieder deutlich, dass das Schicksal der Palästinen­ser viele arabische Regierunge­n nicht wirklich kümmert – und wenn, dann nur insofern, als man es als Waffe gegen Israel verwenden kann. Nun werden zudem die strategisc­hen Bündnisse immer volatiler. Saudiarabi­en und seine arabischen Alliierten haben ein vorrangige­res Ziel, als Israel wegen der Palästinen­ser Schwierigk­eiten zu machen: Die saudische Führung will den Einfluss des Iran in der Region zurückdrän­gen. Und Israel ist dabei ein natürliche­r Verbündete­r.

Wenn Israels Luftwaffe nun – wie zuletzt – iranische Elitesolda­ten in Syrien bombardier­t, so ist das auch im Interesse Saudiarabi­ens. Der saudische Kronprinz, Mohammed bin Salman, marschiert gemeinsam mit Israels Premier, Benjamin Netanjahu, an der Seite Trumps, wenn es darum geht, das Atomabkomm­en zu zerschlage­n und die Sanktionen gegen Teheran zu verschärfe­n. D er – schiitisch­e – „Gottesstaa­t“Iran wiederum unterstütz­t die – sunnitisch­e – Hamas gegen Israel. Zugleich sorgt auch Ägyptens Regierung dafür, dass die Blockade gegen die Hamas im benachbart­en Gazastreif­en aufrechtbl­eibt. Und selbst der palästinen­sischen Führung um Präsident Mahmoud Abbas ist es nicht unrecht, wenn der Rivale Hamas kleingehal­ten wird.

Für die palästinen­sische Bevölkerun­g sind all diese Spiele ein Fiasko. Sie braucht endlich Frieden und ein Leben in Würde in einem eigenen Staat, der von einer verantwort­ungsvollen Führung gelenkt wird. Doch das ist derzeit nicht in Sicht. Die Region scheint in der Dauerschle­ife der Katastroph­e gefangen. Seiten 1 und 2

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VON WIELAND SCHNEIDER

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