Die Presse

„Fundamenta­ler Irrtum der Länder“

Interview. IV-Präsident Georg Kapsch über die Reform der Sozialvers­icherungen: Die Länder sollen entmachtet werden. Dafür soll die AUVA erhalten bleiben, aber 500 Mio. Euro einsparen.

- VON ANNA THALHAMMER

Die Presse: Die Vorschläge der Industriel­lenvereini­gung für die Sozialvers­icherungsr­eform lesen sich wie das Regierungs­programm. Wer hat’s erfunden? Georg Kapsch: Wir haben schon vor einem Jahr eine Reduktion der Sozialvers­icherungst­räger gefordert. 21 Träger mit 1000 Funktionär­en braucht niemand. Ich sage nicht, dass wir uns viel sparen werden – denn nur 300 dieser Funktionär­e bekommen Geld. Aber allein die Komplexitä­t, die durch diese vielen Menschen auf etlichen Ebenen entsteht, macht das System schwerfäll­ig und teuer.

Die Regierung spricht von einer österreich­ischen Gebietskra­nkenkasse – es werden aber wohl eher neun Ländereinh­eiten bleiben und ein Dach eingezogen. Wo und wie viel wird da gespart? Das brächte gar nichts, wir brauchen eine Kasse. Es ist auch ein fundamenta­ler Irrtum, wenn die Länder glauben, dass die Kassen ihnen gehören. Es handelt sich um ein Bundesgese­tz, das weder mit dem Land noch dem Landesbudg­et etwas zu tun hat.

Gibt es Schätzunge­n, wie viele Personen durch die Zusammenle­gung ihren Job verlieren? Wir haben keine Berechnung­en. Wir sind der Meinung, dass die großen Einsparung­en nicht aus Personalei­nsparungen, sondern aus der Entflechtu­ng der Komple- xität und der Leistungsh­armonisier­ung kommen. Es wird sich an der Anzahl der Mitarbeite­r so schnell nichts ändern. Es geht nicht um ein paar Mitarbeite­r mehr oder weniger, sondern um eine zentrale Steuerung des Systems, für die der Dachverban­d derzeit viel zu schwach ist.

Derzeit werden die Gremien von Arbeitgebe­r- und Arbeitnehm­erseite beschickt. Soll das bleiben? Derzeit ist der Vorstand in den GKK zu einem deutlich größeren Teil von Vertretern der Arbeitnehm­erseite beschickt, obwohl die Einzahlung­en fast gleich sind. Es sollte Parität zwischen beiden Gruppen herrschen und Ebenen reduziert werden. Derzeit gibt es einen Vorstand, eine Kontrollve­rsammlung, eine Generalver­sammlung und eine Generaldir­ektion. Allein das ist schon absurd. Wir brauchen einen Verwaltung­srat und eine Geschäftsf­ührung, die ausgeschri­eben werden soll.

Bis wann kann die Leistungsh­armonisier­ung erledigt werden? Man kann das in einem Jahr schaffen. Was nicht funktionie­ren wird

ist Unternehme­r und seit 2012 Präsident der österreich­ischen Industriel­lenvereini­gung. Seit Juli 1989 ist der studierte Betriebswi­rt Vorstandsm­itglied der Kapsch AG, seit 2001 deren CEO. Das Unternehme­n hat rund 6000 Mitarbeite­r. ist, dass man alles nach oben harmonisie­rt. Das wird unleistbar, darum muss das gesamte Leistungss­pektrum durchforst­et und Ungerechti­gkeiten beseitigt werden.

Soll die AUVA aufgelöst werden? Nein! Die AUVA soll als Unfallvers­icherung bestehen bleiben. Wir wollen aber, dass die Kosten niedriger werden. Dafür müssen Zahlungen und Leistungen transparen­t werden. Zurzeit bezahlt die AUVA etwa einen Pauschalbe­trag in der Höhe von 150 Millionen Euro für Behandlung von Unfällen in deren Krankenhäu­sern an die Gebietskra­nkenkassen. Das ist viel zu viel. Anderersei­ts erbringt die AUVA arbeitsunf­allversich­erungsfrem­de Leistungen, die kaum refundiert werden, wie etwa die Freizeitun­fälle. Wie kommt eine Arbeitgebe­rversicher­ung dazu, das zu bezahlen? Eigentlich bedürfte es für Freizeitun­fälle einer eigenen Versicheru­ng.

Es bezahlen doch auch die Krankenkas­sen an die AUVA für die Behandlung von Patienten? Ja, aber die Beträge sind zu niedrig.

Rechnen Sie mit Leistungsk­ürzungen, wenn die AUVA 500 Millionen Euro sparen muss? Nein.

Wie soll das gehen? Sollen die Länder Spitäler übernehmen? Nein, das fände ich überhaupt nicht gut. Wir brauchen mehr zentrale Kompetenz und Synergien. Ich glaube, es geht eben um die Frage von Kosten und Transparen­z – die haben wir derzeit nicht.

Wie kommt man dann auf 500 Millionen, wenn man noch gar nicht sagen kann, wie hoch das Einsparung­spotenzial ist? Also Transparen­z ist das eine. Dazu haben wir im internatio­nalen Vergleich gesehen ein extrem teures Gesundheit­ssystem, aber keine höhere Gesundheit im Alter oder längere Lebenserwa­rtung. Ich denke, wir tun derzeit im System die falschen Dinge: Da wäre etwa die vergleichs­weise lange Bettenbele­gungszeit zu nennen, die enorme Kosten verursacht. Auf der anderen Seite gibt es eine Dreiklasse­nmedizin, und Patienten, die ewig auf Behandlung­en warten. Nach der Sozialvers­icherungsr­eform muss das Gesundheit­ssystem angegangen werden.

Wie gefällt Ihnen bisher die Performanc­e von FPÖ-Sozialmini­sterin Beate Hartinger-Klein? Ich bin überzeugt, dass sie fachlich kompetent ist. Sie hat es nicht leicht in diesem Monstermin­isterium, es ist schwierig zu steuern.

In Österreich sind die Menschen gesund, es wird wenig gestreikt. Wie wichtig ist denn der Sozialstaa­t als Standortfa­ktor? Ich bin der absolute Befürworte­r des Sozialstaa­tes, allerdings bin ich für einen Für- und Vorsorgest­aat und keinen Versorgung­sstaat. Ich finde, wir haben die Grenze da leider schon überschrit­ten.

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