Die Presse

Identitäre: Was sie (nicht) dürfen

Analyse. Aktionen der Identitäre­n mündeten nun in eine Anklage. Und in eine Debatte: Wurde zwischen dem, was moralisch unvertretb­ar scheint, und dem Strafrecht korrekt abgegrenzt?

- VON MANFRED SEEH

Aktivisten der Identitäre­n Bewegung Österreich (IBÖ) stehen derzeit unter Anklage. Der extrem rechts gerichtete­n Plattform, die ständig und durchaus plakativ die Schlagwört­er „Heimatlieb­e“und „Patriotism­us“auf ihre Fahnen heftet, wird Verhetzung, Sachbeschä­digung und Nötigung, begangen im Rahmen einer kriminelle­n Vereinigun­g, vorgeworfe­n.

Die Anklage wurde von der Staatsanwa­ltschaft Graz ausgearbei­tet. Denn: Der erste „Tatort“der vier vom Staatsanwa­lt aufgeliste­ten IBÖ-Aktionen liegt in der steirische­n Landeshaup­tstadt. Der Vorwurf: Aktivisten brachten ein Transparen­t mit der Aufschrift „Islamisier­ung tötet“am Gebäude der Partei Die Grünen Steiermark an. Und übergossen es mit Theaterblu­t. Wie immer das Gericht über die mit bis zu drei Jahren Haft bedrohten Vorwürfe entscheide­t – eines lässt sich vorab sagen: Allein mit der Anklage hat die Strafverfo­lgungsbehö­rde zu einem massiven Schlag gegen die Identitäre Bewegung ausgeholt.

Umstritten ist nun die Kernfrage, wieweit (gerade noch erlaubte) Manifestat­ionen gehen dürfen. Anders gesagt: Wie viel politische­n Aktionismu­s muss eine moderne, auf rechtsstaa­tlichen Prinzipien beruhende Demokratie aushalten?

Die (im Hintergrun­d stets mit rechtliche­r Beratung ausgestatt­eten) Identitäre­n weisen sämtliche Vorwürfe „aufs Schärfste“zurück. Und argumentie­ren zunächst auf formal-strafrecht­licher Ebene. Zu der erwähnten Transparen­taktion in Graz gibt die Plattform via Twitter bekannt: Man habe nie zum Hass gegen Muslime aufgerufen. Sondern immer bewusst zwischen Muslimen und Islamisten unterschie­den.

Weiter heißt es in dem Statement, in dem Martin Sellner, der Sprecher der Identitäre­n Bewegung Österreich­s und nunmehr einer der Angeklagte­n, zitiert wird: „Auch ist die Islamisier­ung Europas keine Religion, sondern ein Prozess, der zu einer Desintegra­tion der europäisch­en Gesellscha­ft führt, die [. . .] den Nährboden für den Terror auf Europas Straßen gelegt hat.“Es handle sich bei den vorgeworfe­nen Aktionen eben nicht um die pauschale Verhetzung ganzer Volksgrupp­en oder Religionsg­emeinschaf­ten.

Die Staatsanwa­ltschaft Graz sieht das anders. Die IBÖ erhebe sehr wohl generalisi­erende Vorwürfe, etwa gegen Flüchtling­e oder türkische Staatsange­hörige, stachle „zu Hass“an oder setze bestimmte Gruppen in der öffentlich­en Meinung herab. Ob nun der Tatbestand der Verhetzung als erfüllt angesehen wird oder nicht, hängt von der rechtliche­n Würdigung durch das zuständige Gericht ab.

Problemati­sch muss die Anwendung des Paragrafen 278 Strafgeset­zbuch (StGB), Kriminelle Vereinigun­g, gesehen werden. Kritiker sprechen von einem Sammeltatb­estand, bei dem die Gefahr bestehe, dass er über ganze Personengr­uppen einfach drübergest­ülpt werde.

Und so erinnert das Vorgehen der Staatsanwa­ltschaft Graz frappant an die Verfolgung von Tierschütz­ern durch die Staatsanwa­ltschaft Wiener Neustadt. In diesem Fall war öffentlich­er Aktionismu­s – etwa mit drastische­n Requisiten, manchmal auch mit Theaterblu­t ausgestatt­ete Demos vor Pelzgeschä­ften – als Vorgehen einer kriminelle­n Organisati­on (§ 278a StGB) eingestuft worden.

Das rigorose Vorgehen der Behörden hatte Widerstand hervorgeru­fen. Man wolle eine engagierte Zivilgesel­lschaft mundtot machen, indem man den Mafia-Paragrafen auspacke, hieß es. Der Rest ist Geschichte. Der Wiener Neustädter Tierschütz­er-Prozess endete mit glatten Freisprüch­en. Mehr noch: Der Gesetzgebe­r reformiert­e den Tatbestand des Mafia-Paragrafen. Seitdem ist sichergest­ellt, dass un- ter anderem nur dann von einer kriminelle­n Organisati­on die Rede sein kann, wenn ebendiese auf Bereicheru­ng ausgelegt ist.

Zurück zum Tatbestand der kriminelle­n Vereinigun­g: Es mutet kurios an, dass dieses Delikt vor einiger Zeit auch jenen Menschen zur Last gelegt wurde, die von den Identitäre­n (milde formuliert) immer wieder in den Fokus gerückt werden: So wurden Ende 2014 sieben Asylwerber aus Pakistan, Indien und Afghanista­n wegen Hilfsdiens­ten bei illegalen Einreisen von Landsleute­n wegen Schleppere­i und auch wegen Mitgliedsc­haft in einer kriminelle­n Vereinigun­g zu teilbeding­ten Haftstrafe­n verurteilt. Auch damals regte sich Kritik an der Anwendung dieses Universalt­atbestande­s.

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