Die Presse

„Ich mache den Job ja nicht erst seit gestern“

Interview. Stanislaw Tschertsch­essow, Trainer der russischen Fußballnat­ionalmanns­chaft, über den Erfolgsdru­ck bei der WM, sein Verhältnis zu Jogi Löw und warum er mit der Sbornaja am Sonntag nach Neustift zum Trainingsc­amp reisen wird.

- VON JUTTA SOMMERBAUE­R

Für seine Tiroler Bekannten aus dem Stubaital ist er nur „der Schtani“. Der Schtani heißt mit vollem Namen Stanislaw Salamowits­ch Tschertsch­essow und ist seit 2016 Trainer der russischen Fußballnat­ionalmanns­chaft, die er kurz nach dem EM-Debakel vom glücklosen Leonid Sluzkij übernahm. Knapp vier Wochen vor Beginn der Fußball-WM in Russland, vom 20. bis 31. Mai, wird er die Sbornaja zum Trainingsl­ager in das Stubaital bringen, genauer in den Jagdhof, ein rustikales Fünfsterne­hotel in Neustift.

Das ist auch der Grund, warum der Schtani an diesem Dienstag in einem Moskauer Hotel gemeinsam mit zwei Herren des Tourismusv­erbandes Stubaital sitzt. Sie wollen auf dem russischen Markt ihre Destinatio­n bewerben – und der sich leicht grimmig gebende 54-Jährige mit Schnurrbar­t und Glatze ist ein idealer Werbeträge­r. Wenngleich der Trainer bemüht ist, den Aufenthalt seines Teams nicht als Urlaub aussehen zu lassen. Als die Touristike­r vom Weinkeller des Hotels erzählen, winkt er ab. „Nein“, sagt er. „Keine Degustatio­n für die Mannschaft.“

Dass er ein „Urtiroler“ist, wie es hier heißt, ist nicht einmal ganz gelogen. Von 1996 bis 2002 war er Torhüter beim FC Tirol, der damals drei Mal österreich­ischer Meister wurde, danach zwei Jahre lang Trainer beim FC Wacker. Auch ins Stubaital kommt Tschertsch­essow nicht zum ersten Mal. Schon 2017 hatte die Sbornaja ihr Trainingsl­ager vor dem Confederat­ion Cup hier. „Den Spielern hat es sehr gut gefallen“, sagt er.

Neustift hat sich wegen seiner guten Infrastruk­tur als Ort für Fußballtra­iningslage­r internatio­nal einen Namen gemacht. Die Seehöhe von 1000 Metern ist ideal für eine schnelle Vorbereitu­ng auf Wettkämpfe. Ein Freundscha­ftsspiel gegen die ÖFB-Elf am 30. Mai im Innsbrucke­r Tivoli bildet den Abschluss des Aufenthalt­s. Die Presse: Welche Erwartunge­n haben Sie an die Fußballwel­tmeistersc­haft in Russland? Stanislaw Tschertsch­essow: Ich als Trainer des Nationalte­ams muss die Mannschaft vorbereite­n und dafür sorgen, dass sie entspreche­nd auftritt. Wir werden nun in Ruhe trainieren.

Welche Stimmung verspüren Sie im Land des WM-Gastgebers? Das kann ich nicht sagen. Ob wir es wollen oder nicht, man kann nicht allen gefallen. Ich bin überzeugt, dass Russland ein gutes Turnier austragen wird. Die Fans, die anreisen werden, werden zufrieden sein. Und jene, die noch überlegen, sollten schnell Tickets kaufen und herkommen.

Wie weit kommt die Sbornaja? Das kann Ihnen niemand sagen. Es ist klar, dass es Favoriten gibt, das sind andere. Wenn man sich aber nur auf die Rangliste verlassen würde, dann müsste man ja überhaupt nicht mehr spielen. Wir haben die letzten vier Spiele gegen WM-Favoriten gespielt: Argentinie­n, Frankreich, Spanien und Brasilien, dazu Portugal und Belgien – wir kennen unsere Herausford­erer also gut. Nur gegen die Deutschen haben wir noch nicht gespielt.

Sie haben die Mannschaft teilweise neu aufgestell­t . . . Nicht nur das. Nach der Europameis­terschaft hat sich die Mannschaft um 80 Prozent erneuert. Es war eine natürliche Veränderun­g. Wie im Leben, so im Sport: Einer geht, ein Neuer kommt. Wie wird die neue Mannschaft zusammensp­ielen? Wird das nicht eine Herausford­erung? Sie werden zeitgenöss­ischen, intensiven und offensiven Fußball spielen. Und nicht nur das: Auch die Verteidigu­ng muss funktionie­ren, um Erfolg zu haben.

Wie viel Erfolgsdru­ck lastet auf Ihnen? Ich spüre überhaupt keinen Druck. Ich mache den Job als Trainer ja nicht erst seit gestern.

Ruft Sie auch Präsident Wladimir Putin an und gibt Ihnen Ratschläge? Nein, das tut er nicht. Der Präsident des Russischen Fußballver­bandes ruft mich an, der Staatspräs­ident nicht. Jeder hat seine eigene Aufgabe. Sie werden Ihren früheren TirolTrain­er Joachim Löw bei der WM treffen. Wie ist Ihr Verhältnis? Sehr gut. Wir sehen einander gern. Natürlich vergisst man solche Erfolge nicht, als wir damals österreich­ischer Meister wurden. Das sind unvergessl­iche Momente.

Sind Sie noch häufig in Tirol? Ich war das letzte Mal vor einer Woche dort, als ich unser Hotel und den Fußballpla­tz für das Trainingsl­ager in Neustift inspiziert habe. Ich habe eine Zweitwohnu­ng in Innsbruck. Meine Tochter hat dort studiert und unterricht­et an der Innsbrucke­r Universitä­t. Meine Frau fährt oft zu Besuch hin.

Werden Sie auf den Straßen Innsbrucks eigentlich erkannt? Von den Älteren ja, von den Jüngeren nicht mehr.

Warum haben Sie Neustift im Stubaital als Ort für das Trainingsl­ager gewählt? Die Anbindung ist sehr gut, der Ort ist nur 30 Minuten von Innsbruck entfernt. Die Plätze sind gut, das Hotel und seine Küche hervorrage­nd. Und die Gastgeber sind sehr bemüht. Sie sind auch mit uns zufrieden, denn wir sind nicht kapriziert.

Die Spieler haben einmal am Tag Training. Was machen sie in ihrer Freizeit? Sie meinen, ob sie Frauen treffen dürfen? (lacht) Nur die, die zu ihrer Familie gehören. Die dürfen sie besuchen kommen. ist seit 2016 Trainer der russischen Nationalma­nnschaft. Als Trainer war er davor bei Legia Warschau tätig, von 2004 bis 2006 beim FC Wacker Innsbruck. Auch seine Karriere als Spieler fand zu einem Gutteil in Österreich statt. Von 1996 bis 2002 war er Torwart beim FC Tirol. Er spricht sehr gut Deutsch und ist noch immer eng mit Innsbruck verbunden. Seine Tochter lebt in der Landeshaup­tstadt.

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[ AFP ] Teamchef Stanislas Tschertess­ow schwingt seit rund zwei Jahren das Zepter bei der russischen Nationalma­nnschaft.

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