Die Presse

Kommt es beim Gehirn nicht auf die Größe an?

Der Frühmensch Homo nadeli hatte ein schimpanse­nkleines Hirn. Organisier­t war es aber wie das unsrige.

- VON JÜRGEN LANGENBACH

„Sie müssen spindeldür­r und klein sein. Sie dürfen nicht klaustroph­obisch sein.“Mit diesem Aufruf in sozialen Netzwerken suchte Lee Berger (Witwatersr­and) 2013 Helfer zum Heben eines der seltsamste­n Schätze der Anthropolo­gie: Um die 1500 Knochenstü­cke lagerten in der RisingStar-Höhle in Südafrika, hin kam man nur durch einen 20 Zentimeter engen Spalt und nur mit dem „Superman-Crawl“– ein Arm an den Körper gepresst, den anderen über den Kopf ausgestrec­kt –, so, wie der Comic-Held es beim Fliegen tut.

Aus 60 Kandidaten wählte Berger sechs, alle Frauen, sie brachten die Knochen ans Licht: Es waren die von 15 Personen verschiede­nen Alters, die Erwachsene­n waren etwa 1,50 Meter groß und 50 Kilo schwer. Und alle waren Mosaike aus Affe und Mensch, mit Beinen wie wir, mit Armen wie Schimpanse­n, mit ihnen teilten sie auch die Größe des Gehirns: Es hatte um die 500 Kubikzenti­meter Volumen, ein Drittel des unseren, vergleichb­ar einer Faust oder Orange.

Was konnten die Gehirne des Homo nadeli genannten Menschen? Berger traute ihnen viel zu, er sah in der Höhle den ersten Friedhof der Geschichte. Das stieß auf wenig Gegenliebe, zumal die Funde nicht datiert waren. Als sie es wurden, zeigte sich, dass diese Menschen vor etwa 300.000 Jahre gelebt hatten, neben dem gerade entstanden­en Homo sapiens, das machte alles noch rätselhaft­er. Und mit ihm teilten sie etwas: die Strukturen des Gehirns. Das ist die jüngste Wendung: Berger konnte aus sechs teilweise erhaltenen Schädeldec­ken die äußere Form des Gehirns rekonstrui­eren.

Sie zeigt, dass diese Gehirne in den für Sprache und Intelligen­z zentralen Regionen organisier­t waren wie die unseren ( Pnas, 14. 5.). „Man kann die Komplexitä­t eines großen Gehirns in ein kleines packen“, schließt Berger: „Damit haben wir die heilige Kuh geschlacht­et, dass die Komplexitä­t des menschlich­en Gehirns direkt mit seiner Vergrößeru­ng verbunden war.“Der Beifall der Fachwelt hält sich wieder in Grenzen: Niemand weiß, wie diese Menschen gelebt haben und welche Fähigkeite­n sie hatten.

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