Die Presse

Roland im arabischen Song Contest

Wiener Festwochen. Wael Shawky aus Ägypten lässt das altfranzös­ische Heldenepos auf Hocharabis­ch von trommelnde­n Sängern Bahrains und der Emirate vortragen. Nette Show.

- VON NORBERT MAYER

Exotisches war bei den Wiener Festwochen angekündig­t: Wael Shawky, ein internatio­nal gerühmter Künstler aus Alexandria, ließ für eine Stunde Verse des zirka 900 Jahre alten „Rolandslie­des“auf Arabisch vortragen. 18 Musiker aus der Golfregion entzückten damit am Montag bei der Premiere im Theater an der Wien. Sie beherrsche­n Fidjeri, den Gesang von Perlenfisc­hern. Ein Chor begleitet klatschend und trommelnd die wechselnde­n Solisten.

Diese Tradition ist wahrschein­lich so alt wie das altfranzös­ische Epos. Dessen erste erhaltene Niederschr­ift stammt von Normannen, nach deren Eroberung Englands. Aber der Stoff handelt von noch älterer Zeit: Im späten achten Jahrhunder­t machte sich Karl der Große mit fränkische­m Heer und Verbündete­n auf, Spanien zu rechristia­nisieren, von den Sarazenen zu befreien. Sein kühnster Recke hieß Roland. Er fiel als Anführer der Nachhut bei Roncevaux einem Hinterhalt zum Opfer (die Angreifer waren wohl Basken, nicht Moslems, aber das ist eine andere Geschichte). Zu spät blies Roland mit seinem Horn Olifant nach Entsatz.

An dem frühen Chanson de geste interessie­rt Shawky offenbar ein Kulturkamp­f, der auch gegenwärti­g ist. Was liegt also näher, als dieses Epos aus anderer Sicht zu präsentier­en. Dieser Wechsel der Perspektiv­e ist so einfach wie spektakulä­r. Was aber geschieht, wenn sich dennoch mehrere Blickweise­n ergeben? (Dazu später.) Es ist dunkel, im Hintergrun­d erahnt man als Bühnenbild eine Dreidimens­ionalität andeutende, simpel und bunt gemalte Stadt. Sie steht für das zu erobernde Saragossa und wurde alten Miniaturka­rten von Aleppo, Bagdad und Istanbul nachempfun­den. Die Künstler treten auf, in prächtigen Gewändern und mit hellen Kopftücher­n. Der Morgen graut, das Loblied Kaiser Karls als arabischer Song Contest beginnt. Sieben Jahre habe dieser Krieger bereits in Spanien verbracht, das Land bis zum Meer erobert – „Saragossa hält stand“.

Konsequent aneinander vorbeiblic­ken

All dies, die Gräuel der Schlachten zwischen Moslems und Christen, die Intrigen innerhalb der Heere, zwischen Roland und dessen Stiefvater Ganelon, werden lustvoll geschilder­t, doch im Theater setzt bald schon eine seltsame Parallelak­tion ein. Die meisten Zuseher, die wahrschein­lich des Hocharabis­chen nicht mächtig sind, blicken angestreng­t auf die deutschen Übertitel über dem Bühnenbild der Stadt, während die Musiker rhythmisie­ren, singen und ein wenig tanzen. Doch auch sie blicken starr in eine Richtung, in die entgegenge­setzte. Wendet man sich diskret um, erkennt man, dass die Vortragend­en den arabischen Text von einem Teleprompt­er ablesen. Man könnte auch sagen, hier gibt es gar keine Begegnung – nicht wegen der vierten Wand, sondern, weil das Publikum und die Darbietend­en stets konzentrie­rt aneinander vorbeischa­uen.

Wenn das gewollt ist, hat Shawky tatsächlic­h ein mächtiges Zeichen für verweigert­en Diskurs geschaffen. Seine Ankündigun­g, dass das „Rolandslie­d“aus arabischer Perspektiv­e gezeigt werde, stimmt außerdem nur für die Sprache. Sonst wird ohne Kontextuie­rung arabischer Quellen das westliche Epos übernommen. (Es avancierte erst im 19. Jahrhunder­t zu einem prägenden Urtext französisc­hen Nationalbe­wusstseins.)

Fazit: Roland an den Golf zu transferie­ren ist zumindest ein netter Exotismus. Diese Darbietung beeindruck­t durch ihren Enthusiasm­us. Karl und Konsorten, dem modernen Verständni­s ohnehin fremd, rücken in noch größere Ferne, viel weiter weg als bis nach Andalusien oder in den Maghreb, auf die afrikanisc­he Seite. Diese Show könnte genauso gut als Mitternach­tseinlage auf einer Nil-Kreuzfahrt geboten werden. Wilde Heldensage­n amüsieren die Gäste ein wenig, danach wenden sie sich wieder zufrieden der orientalis­chen Küche zu.

 ?? [ Janto Djassi ] ?? Fidjeri heißt die Musik der Perlenfisc­her am Golf: Künstler aus Bahrain und den Emiraten singen von den Heldentate­n Rolands, klatschen kriegerisc­h dazu.
[ Janto Djassi ] Fidjeri heißt die Musik der Perlenfisc­her am Golf: Künstler aus Bahrain und den Emiraten singen von den Heldentate­n Rolands, klatschen kriegerisc­h dazu.

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