Die Presse

Cannes: Ein Porträt des Künstlers als Serienkill­er

Film. Lars von Trier ist zurück in Cannes: „The House That Jack Built“ist eine Art passiv-aggressive Entschuldi­gung für seinen Hitler-Sager.

- VON ANDREY ARNOLD

Sieben Jahre ist es her, dass sich Lars von Trier in Cannes „ein bisschen“als HitlerVers­teher outete und dafür zur Persona non grata erklärt wurde. Wer Cannes kennt, wusste schon damals, dass der Bann nicht ewig währen würde – mit jenen, die die Leiter der Filmfestsp­iele für große Regiekünst­ler halten, sind sie in der Regel nachsichti­g. Und so durfte der Däne heuer zurückkehr­en, im Schlepptau sein jüngstes Werk: „The House That Jack Built“.

Dessen Titelheld, verkörpert von Matt Dillon, ist ein Serienkill­er – und zwar einer, der sich als Künstler versteht. Das wissen wir, weil der zweieinhal­bstündige Film ihm ausgiebig Zeit gibt, sich zu erklären. Nach „Nymphomani­ac“setzt von Trier wieder auf ein (selbst-)analytisch­es Kinokonzep­t, Bruno Ganz gibt den platonisch­en Sparring-Partner. Ihm erzählt Jack im Off Episoden aus seinem Leben. Dass dieses bereits vorbei ist, wird schnell klar: Verge, der Name des Zuhörers, steht für Vergil, und die beiden sind Richtung Orkus unterwegs.

Jacks mörderisch­er Werdegang beginnt trocken bis heiter. Das erste Verbrechen ist eine Kurzschlus­shandlung, das zweite schwarzhum­orig amateurhaf­t: Der Hyperneuro­tiker kehrt immer wieder an den Tatort zurück, um nachzusehe­n, ob er auch wirklich alle Blutspuren aufgewisch­t hat. Später packt von Trier seine gewohnten Schocktakt­iken aus: Erst werden Kinder vor den Augen ihrer Mutter erschossen (wie in „Dogville“), dann schneidet Jack einer Frau die Brüste ab. Vorher erklärt er ihr, was ihn wirklich ärgert: Warum sind immer die Männer an allem schuld?

Spätestens, als Jack sich in eine Reihe mit den größten Massenmörd­ern der Geschichte stellt und von der Bauweise von Stukas zu schwärmen beginnt (während Holocaust-Bilder erscheinen), werden viele die Parallelen zwischen dem Antihelden und seinem Autorenfil­mer nicht mehr ausblenden können. Das ist freilich der Punkt: Der Film ist auch eine Brachialab­handlung über die Unvereinba­rkeit von Moral und künstleris­cher Freiheit. Dass er sich dabei so weit aus dem Fenster lehnen kann, erkauft sich von Trier mit der Widerrede Vergils, die jeder Provokatio­n folgt. Und mit einer finalen Selbstkast­eiung: KünstlerNa­rzissmus, ein bodenloses Loch.

Angewidert­e Zuschauer

In gewisser Hinsicht ist der Film ein schelmisch­er, passiv-aggressive­r Versuch, sich zu entschuldi­gen – aber von Trier wäre nicht von Trier, würde er dabei nicht erneut für Aufregung sorgen. Cannes setzte auf präventive (und etwas halbherzig­e) Distanznah­me: „The House That Jack Built“lief außer Konkurrenz, vor seiner Pressevorf­ührung blieb das übliche Festival-Intro aus. Bei der Premiere sollen etliche Zuschauer angewidert den Saal verlassen haben. Standing Ovations gab es allerdings auch. Verwunderl­ich angesichts dessen, wie wenig Neues die jüngeren Arbeiten von Triers erzählen: Seit geraumer Zeit drehen sie sich kunstvoll im Kreis um ihn selbst.

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