Der Dichterstar aus dem Dorf
Der heute 77-jährige Mahmud Doulatabadi war inhaftiert und wird von der Zensur verfolgt.
„Schließlich war die Revolution ausgebrochen. Und in Zeiten der Revolution sucht jeder seinen Vorteil. Es sei denn, man ist noch jung. Junge Menschen suchen in der Revolution ihre eigene Lebenswahrheit. Und natürlich, nichts weckt bei Jungen so viel Leidenschaften wie eine Revolution. Wie die Taube, die zur Sonne fliegt, so hoch, bis sie verbrennt . . .“Nachts klopft es an die Tür des ehemaligen Offiziers der SchahArmee, ewig dauert es, bis der alte Mann den Schlüssel findet, zwei Burschen stehen vor ihm, die seine Söhne sein könnten. Was haben sie mit ihm vor?
„Der Colonel“ist eines der bekanntesten Bücher von Mahmud Doulatabadi: „Eine Shakespear’sche Inszenierung, ein düsteres Historiendrama“wie die „Frankfurter Allgemeine“über den 2010 auf Deutsch beim Unionsverlag erschienenen Roman geschrieben hat. Von fern erinnert diese Art innerer Monolog an Pessoa oder Dostojewski, so weit diese zwei Dichter auch auseinanderliegen mögen. Gerhard Schweizer, der sich oft mit den Kon- flikten zwischen dem Westen und anderen Kulturen beschäftigt, liefert in seinem spannenden Sachbuch „Iran verstehen“(Klett-Cotta) ein lebhaftes Porträt Doulatabadis, dieses grandiosen Malers der Düsternis. Der Autor wurde als Sohn eines belesenen Schusters in einem Dorf in eine Familie mit neun Kindern geboren. Den Niedergang seines Heimatorts beschrieb Doulatabadi in „Der leere Platz von Ssolutsch“. Als Kind lauschte er begierig reisenden Geschichtenerzählern, später las er persische Klassiker: Firdausi, Saadi, Hafis.
Der Vater förderte die literarischen Sehnsüchte des Sohnes, der sich als Friseur, Kartenabreißer in Kinos, Fahrradmechaniker, Lagerverwalter durchbrachte. Abends besuchte Doulatabadi das Gymnasium, las Camus, Faulkner oder John Dos Passos. Die Entwicklung im Iran beurteilte der Schriftsteller 2016 in der „Zeit“so: „Wir sind im postmodernen Chaos gelandet. Die iranische Postmoderne ist die Idee einer Mittelschicht ohne Identität. Sie hat auch ihr Zaumzeug verloren. Dieses Durcheinander, dieser Basar in den Künsten ist eine typische Eigenschaft der Mittelklasse. Und das wichtigste Schlachtfeld, das sie gefunden hat, um sich auszutoben, sind Film, Fernsehen.“(bp)