Die Presse

Die Armenierin aus Abadan

Zoya Pirzad ist nicht nur in ihrer Heimat vielfach preisgekrö­nt. Ihre Figuren könnten überall zu Hause sein.

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Eine der besten Gegenwarts­autorinnen im Iran, Zoya Pirzad, gehört der armenische­n Minderheit an. Das einzige von ihr auf Deutsch erhältlich­e Buch, der Roman „Die Lichter lösche ich“(„Cheragh-ha ra man khamush mi-konamoya“, auf Deutsch im Insel Verlag erschienen), macht verständli­ch, warum sie in ihrer Heimat sehr erfolgreic­h ist. In einem bei aller Raffinesse natürliche­n, fast lässigen Stil – ungewohnt für die damalige iranische Romanliter­atur – schrieb sie zu Beginn des neuen Jahrtausen­ds über das Alltagsleb­en und die Gefühlswir­ren einer armenische­n Hausfrau in Abadan, jener Stadt im äußersten Südwesten des Landes, in der Pirzad in den 1950ern geboren wurde.

Mit einer der weltweit größten Raffinerie­n ist Abadan als Zentrum der iranischen Erdölindus­trie berühmt, obwohl es kaum mehr Einwohner als Linz hat – zum Leben gibt es aufregende­re Orte. Dorthin sind Clarice und ihre Freundinne­n im Roman aus Großstädte­n wie Teheran, Isfahan oder Tabris gekommen – aus rein wirtschaft­li- chen Gründen. Es ist eine sehr private Geschichte mit hohem weiblichen Identifika­tionspoten­zial, die Pirzad da erzählt: Clarice, eine dreifache Mutter, verheirate­t mit einem kommunisti­schen Aktivisten, verliebt sich in den neuen Nachbarn und verwitwete­n Familienva­ter Emile. Auch wenn die Handlung in den 1960er-Jahren, der Ära von Mohammad Reza Pahlavi, angesiedel­t ist, die iranische Frauenbewe­gung, das Frauenwahl­recht und der Völkermord an den Armeniern darin vorkommen, hat man das Gefühl, diese Geschichte könnte in allen möglichen Vorstädten der ganzen Welt spielen, wo der Alltag träge dahinfließ­t.

Im Iran wurde der Roman mehrfach preisgekrö­nt, das Ministeriu­m für Kultur und islamische Führung kürte ihn 2003 zum Buch des Jahres. Auf Englisch ist unter dem Titel „The Space between Us“noch ein weiterer Roman von Zoya Pirzad erschienen („Yek Ruz Mande be Eid Pak“), eine ebenfalls mit viel Alltagsleb­en angereiche­rte Geschichte aus einem Kaff am Schwarzen Meer, über Stolz und Vorurteil, den Konflikt zwischen Konvention und Gefühl: Ein Armenier, selbst einst eng befreundet mit einer Muslimin, kann es schwer ertragen, als seine Tochter einen Muslim heiraten will. (sim)

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