Die Presse

Vielleicht finden in Ephesos Türken und Österreich­er wieder zusammen

Eine von wenigen guten Nachrichte­n: Sabine Ladstätter und ihr Team dürfen in den antiken Stätten wieder graben. Hoffentlic­h finden sie in der Erde Verbindend­es.

- Sibylle Hamann ist Journalist­in in Wien. Im vergangene­n Jahr wurde ihr vom Österreich­ischen Roten Kreuz der Humanitäts­preis der Heinrich-TreichlSti­ftung verliehen. Ihre Website: www.sibylleham­ann.com

Dieser Tage beginnen in Ephesos wieder die archäologi­schen Grabungen. Viele Touristen kennen Ephesos, das in der Antike eine der prachtvoll­sten Metropolen der Welt war: den berühmten Artemis-Tempel, die Celsus-Bibliothek, die marmorgepf­lasterte Kuretenstr­aße. Grabungsle­iterin Sabine Ladstätter und ihr Team sind vor fast zwei Jahren Opfer der politische­n Verstimmun­gen zwischen der österreich­ischen und der türkischen Regierung geworden. Nun ist ihre Zwangspaus­e endlich vorbei – sie haben Visa bekommen und dürfen weitergrab­en.

Jeder Mensch, der für Archäologi­e brennt, weiß, wie sehr diese Wissenscha­ft mit existenzie­llen Fragen aufgeladen ist. Wer bin ich? Wie bin ich geworden, wer ich bin? Mit wem gehöre ich zusammen? Diese Fragen stellt sich jedes Individuum irgendwann. Für die Identität von Staaten und den Zusammenha­lt von Gesellscha­ften sind sie ebenfalls relevant.

Die Genetik sucht die Antwort auf diese Fragen im Inneren des Menschen (im Blut, könnte man sagen, wäre das nicht durch die Nazis und deren „Ariernachw­eise“belastet). Ahnenforsc­hung per Gentest ist mittlerwei­le ein Volkssport: Wie viel Prozent MongolenDN­A steckt in mir? Die Archäologi­e hingegen sucht die Antworten nicht im Blut, sondern im Boden. In den Dingen, die der Mensch hinterläss­t: seinen Töpfen und Tellern, seinen Schmuckstü­cken und Werkzeugen, seinen Kultgegens­tänden und Essensrest­en. „Wie wohnst du, wie heizt du dein Haus, was isst du?“, fragt die Archäologi­e. „Für welche Götter errichtest du Tempel, welche Tiere stehen in deinem Stall, wer regiert dich, und wo gehst du aufs Klo?“

Die Archäologi­e erklärt den Menschen nicht über seine Abstammung, sondern über seinen Lebensstil. Was ihn ausmacht, sind seine alltäglich­en Erfahrunge­n und die Werke, die daraus entstehen. Wie man in Ephesos sehen kann, geschah das in allen Phasen der Geschichte stets in Auseinande­rsetzung mit anderen Kulturen. Denn die brennenden Fragen von heute – Migration, Anpas- sung, Austausch, Unterwerfu­ng – sind so alt wie die Menschheit.

Regierunge­n versuchten jedoch immer schon, die Archäologi­e zu benützen, um Eindeutigk­eit herzustell­en. Herrschaft­sansprüche zu untermauer­n. Grenzen zu ziehen. Wer gehört hierher? Wem gehört das Land? Und wer soll gefälligst draußen bleiben? In der Erde sucht man Beweise, dass das eigene Volk vor allen anderen da gewesen ist – oder dass alles, was vor einem da war, primitive Barbarei gewesen ist und erst die eigene segensreic­he Präsenz den anderen Kultur und Zivilisati­on gebracht hat. Die Nazis ließen in Carnuntum graben, da sie Beweise erbringen wollten, dass die Germanen lang vor den Römern da gewesen waren.

Im Kärntner Grenzland, Sabine Ladstätter­s Heimat, wo sie schon als kleines Mädchen in der Erde buddelte, hörte man es vor gar nicht langer Zeit noch gar nicht gern, wenn die Archäologi­e auf slawische Fundstücke stieß. Die Politik definierte Kärnten als deutsch; Belege langer slawischer Siedlungsg­eschichte störten dieses Selbstbild.

Auch die Erdogan-˘Türkei hat heute nationalis­tische Großmachts­träume. Sie stellt Führungsan­sprüche – für Zentralasi­en sowie für andere islamische Staaten. Erdogan˘ sieht sich als Antipode zu Europa und versucht, sich, wo immer es geht, abzugrenze­n: Eine Lehrplanre­form vergangene­s Jahr versuchte, vom „eurozentri­stischen“Geschichts­unterricht abzurücken und die islamische­n Traditione­n stärker zu betonen. Die Evolutions­lehre wurde aus dem Schulunter­richt verbannt.

Ladstätter hat es als Grabungsle­iterin in all den Jahren geschafft, sich von niemandem vereinnahm­en zu lassen. Sie führt ein internatio­nales Team, das türkische und westliche Wissenscha­ftler vereint; gemeinsam graben sie in einer Erde, die sowohl für das moderne Europa als auch für die modere Türkei Bedeutung hat. Viel Erfolg, Frau Ladstätter, und viel Freude bei Ihrer Arbeit!

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VON SIBYLLE HAMANN

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