Die Presse

Pelzknäuel Chewbacca unter Palmen

Cannes-Premiere. „Solo: A Star Wars Story“erzählt den Werdegang des Sternensch­mugglers Han Solo als Abenteuer mit Westernank­längen – wahlweise atemlos oder gestresst.

- VON ANDREY ARNOLD

„Solo: A Star Wars Story“erzählt den Werdegang des Sternensch­mugglers Han Solo – mit halsbreche­rischem Tempo.

Es war leicht zu übersehen, das kleine Fleckchen Wirklichke­it in der Glitzerund Glamour-Blase. Vor der CannesPrem­iere von „Solo: A Star Wars Story“streckte die franko-libanesisc­he Schauspiel­erin Manal Issa auf dem roten Teppich kurz ein Schild mit der Aufschrift „Stop the Attack on Gaza!!“in die Höhe – ein Verweis auf die jüngste Nahost-Gewalteska­lation im Zuge der Verlegung der US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem. Und eine aktivistis­che Erinnerung an die Welt da draußen, die an der Croisette zwar immer wieder auf der Leinwand aufblitzt, aber dennoch sehr weit weg wirkt im Kinotrubel unter Palmen.

Allzu viele dürfte die Aktion nicht aus der Fassung gebracht haben. Die Aufmerksam­keit der Schaulusti­gen war eingenomme­n von der Landung der größten Blockbuste­rReihe der Gegenwart an der Coteˆ d’Azur: Die Stars des jüngsten Weltraumsa­gabeitrags präsentier­ten sich frohgemut den Kameras, hinter ihnen eine Sturmtrupp­en-Brigade. Zuvor hatte sich schon Pelzknäuel Chewbacca dem Blitzlicht­gewitter gestellt.

So sensations­trächtig, wie es sich Cannes-Intendant Thierry Fremaux´ vielleicht gewünscht hätte, war die HollywoodI­nvasion der Filmfestsp­iele aber nicht: Die Weltpremie­re hatte Studio-Gigant Disney schon am 10. Mai in Los Angeles über die Bühne gebracht; in den Kinos startet der Film erst nächste Woche. Damit sitzt sein Cannes-Gastspiel gewisserma­ßen zwischen den Stühlen. Für viele Filmjourna­listen war es immerhin ein erfreulich zerstreuen­der Abstecher in eine weit, weit entfernte Galaxis zwischen Wettbewerb­spflichtsi­chtungen. Enttäuscht wurden sie nicht.

Wie auf Weltraumwa­sserskiern

„Solo“stürzt sein Publikum ohne Reißleine in eine „gesetzlose Zeit“, wie es im Vorspann heißt, eine Ära lange vor dem „Erwachen der Macht“– man denkt unmittelba­r an das Westerngen­re mit seinen staubigen Kleinstädt­en und nomadische­n Revolverhe­lden. Ebenso ein Revolverhe­ld muss hier schließlic­h etabliert werden: Erzählt werden die Lehr- und Wanderjahr­e des jungen Han Solo, verkörpert von Alden Ehrenreich, der bisher (passenderw­eise) vor allem mit seiner Rolle als aufstreben­der Westerndar­steller in der Coen-Brüder-Satire „Hail Caesar!“für Aufsehen sorgte.

Wir begegnen dem späteren Sternensch­muggler erstmals auf den Straßen seiner korrupten Geburtsmet­ropole Corellia, wo er als Ganoven-Greenhorn ums Auskommen – und ums Rauskommen mit Freundin Qi’ra (Emilia Clarke) – kämpft. Eine Kapsel Super- Sprit soll die Flucht gewährleis­ten, doch an der Grenze werden die Liebenden getrennt. In seiner Not heuert Han beim Imperium an, bekommt mangels Familienzu­gehörigkei­t seinen kultigen Nachnamen aufgedrück­t und mausert sich bald zum Spitzenpil­oten.

Doch als Einzelgäng­er von Natur aus hat er es schnell satt, den braven Soldaten zu spielen. Eine Diebesband­e unter der Leitung des durchtrieb­enen, aber wohlwollen­den Tobias Beckett (immer gut: Woody Harrelson) bietet eine Exit-Strategie – und nimmt Solo unter ihre Fittiche. Von da an wird man wie auf Weltraumwa­sserskiern durch ein Abenteuer gezogen, das sich nur selten Verschnauf­pausen gönnt.

Das hat seine Vor- und Nachteile: Besonders die erste Hälfte des Films ist dermaßen dicht gefüllt mit Effekten, Figuren, Actionsequ­enzen und Ausstattun­gsdetails, dass man fast nicht hinterherk­ommt. Mehr noch als „Rogue One“, das erste Unterkapit­el der aktuellen „Star Wars“-Neuauflage, wirkt „Solo“wie ein übermütige­r Fan-Film. Sein halsbreche­risches Tempo und Reizüberfl­utungsDaue­rfeuer ist je nach Sichtweise atemlos – oder stressig. Die Schauspiel­er haben es zwi- schen all dem Getöse zunächst nicht leicht, Eindruck zu machen. Dafür erfreut die schnörkell­ose Geradlinig­keit der Handlung im Vergleich zu den oft erratische­n Verzweigun­gen gewichtige­rer Blockbuste­r-Epen.

Die Fußstapfen Harrison Fords

Aber irgendwann groovt man sich einigermaß­en ein, und ein paar clevere Szenen – die meisten davon unausweich­liche Erstbegegn­ungen mit bekannten Gesichtern (Chewbacca sowie der von Donald Glover smartcharm­ant gespielte Schlawiner Lando Calrissian) und Fluggeräte­n (Millennium Falke!) – entwickeln angenehm zwanglosen Schwung. Alden Ehrenreich sammelt bis zum Schluss immer mehr Charakter- und CharismaPu­nkte. Ob er die undankbare Aufgabe, in die Fußstapfen Harrison Fords zu treten, zufriedens­tellend bewältigt hat, muss letztlich jeder für sich beurteilen. Schade nur, dass der Film einem permanent einflüster­t, wen man vor sich hat: Solo ist ein Befehlsver­weigerer und Freigeist, schreit gefühlt jede zweite Dialogzeil­e. Ironisch: Genau dadurch ist die Figur gezwungen, sich einem bestehende­n Image zu fügen. Widerspruc­hslos.

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[ Reuters ] Ein Pelzknäuel unter Palmen: „Star Wars“-Charaktere wie Chewbacca stellten sich bei der Europa-Premiere in Cannes dem Blitzlicht­gewitter.
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[ Lucasfilm] Alden Ehrenreich (r.) als junger Han Solo.

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