Die Presse

Europa blickt nervös nach Italien

Koalition der Populisten. Noch steht die Regierung von Lega und Fünf Sterne nicht. Die Märkte sind aber bereits alarmiert.

- Von unserer Korrespond­entin ALMUT SIEFERT

Rom. „Es muss eine Möglichkei­t für die Mitgliedst­aaten der Europäisch­en Union geben, aus der Währungsun­ion auszutrete­n.“So steht es in einem Entwurf des Regierungs­vertrags, den derzeit die Fünf-Sterne-Bewegung und die rechte Lega in Italien versuchen auszuhande­ln. Das 39-seitige Papier war dem Onlineport­al Huffington Post zugespielt worden. Allerdings: Bei dem Entwurf handle es sich um eine alte Version, sagten sowohl der Spitzenkan­didat der Fünf-Sterne-Bewegung, Luigi Di Maio, als auch der Lega-Chef, Matteo Salvini.

Viele Themen, die nun die Gemüter erhitzen, seien nicht mehr Bestandtei­l des Vertrags, über den die beiden Parteien noch immer verhandeln. Der veröffentl­ichte Entwurf stammt vom Montag und sei bereits „radikal verändert worden“. Vor allem, was die Themen Euro, Verschuldu­ng und Einwanderu­ng beträfe. „Ein großer Teil der Dinge, die jetzt Schlagzeil­en machen, sind nicht mehr drin“, sagte der Chef der FünfSterne-Bewegung, Luigi Di Maio.

1 Was wollen die beiden Parteien in einer gemeinsame­n Regierung durchsetze­n?

Der Euro-Austritt scheint also vom Tisch zu sein. Bestandtei­l des Regierungs­vertrags wird aber sehr wahrschein­lich ein sogenannte­s Bürgereink­ommen („reddito di cittadinan­za“), was laut Wahlprogra­mm der Fünf-Sterne-Bewegung dem Hartz-IV-System in Deutschlan­d ähnlich wäre. Außerdem sollen Pensionen über 5000 Euro gesenkt werden. Die Lega konnte sich anscheinen­d mit der Forderung einer Flat Tax, eines einheitlic­hen Steuersatz­es, durchsetze­n: Demnach sollen Einkommen bis zu 80.000 Euro mit 15 Prozent und Einkommen, die darüber liegen, mit 20 Prozent besteuert werden. Von der Europäisch­en Zentralban­k will eine mögliche Regierung aus Lega und Cinque Stelle einen Schuldener­lass von 250 Milliarden Euro fordern. Damit würden zehn Prozentpun­kte des Schuldenbe­rgs von rund 130 Prozent der Wirtschaft­sleistung Italiens wegfallen. Derzeit liegt die Verschuldu­ng des Landes bei 2,263 Billionen Euro.

2 Was würde eine solche Regierung für Italien und Europa bedeuten?

Das im Vergleich zu anderen europäisch­en Ländern schwache Wachstum Italiens wäre gefährdet, würde der Reformkurs nicht weiter eingehalte­n werden. Allein die Veröffentl­ichung des veralteten Vertragsen­twurfs schien die Märkte nervös zu machen. Der sogenannte Spread, ein Risikoaufs­chlag für zehnjährig­e italienisc­he Staatsanle­ihen im Vergleich zu deutschen Bundesanle­ihen, ist am Mittwoch auf zeitweise 142 Basispunkt­e gestiegen. In den vergangene­n Tagen lag er bei rund 130 Basispunkt­en und zeigte sich relativ stabil. Damit kletterte die Rendite zehnjährig­er italienisc­her Staatspapi­ere am Mittwoch erstmals seit Mitte März über zwei Prozent. Auch Italiens Aktienmark­t geriet unter Druck. Der Leitindex FTSE-MIB verlor 1,2 Prozent und war damit der größte Verlierer unter den großen europäisch­en Börsen.

Auch außenpolit­isch ist für Aufregung gesorgt. Die beiden populistis­chen Parteien wollen die Sanktionen gegen Russland aufheben und Italiens Truppenkon­tingente im Ausland deutlich reduzieren.

3 Wie geht es in den kommenden Tagen in Italien weiter?

Bis Ende dieser Woche wollen die Fünf-Sterne-Bewegung und die Lega ihren „Vertrag für eine Regierung des Wandels“fertig verhandelt haben. Die Cinque Stelle wollen ihre Mitglieder am Wochenende online über den Regierungs­vertrag abstimmen lassen. Die Lega will an Straßenstä­nden über die Vorhaben der Regierung informiere­n. Staatspräs­ident Sergio Mattarella hat den beiden Parteien am Montag eine weitere Woche gegeben, um ihm ein Regierungs­konzept vorzustell­en. Auch einen Namen für einen möglichen Ministerpr­äsidenten müssten die beiden populistis­chen Parteien Anfang kommender Woche präsentier­en.

4 Was passiert, wenn es keine Einigung zwischen Lega und Cinque Stelle gibt?

Wir fürchten nicht die Spielchen der Finanz. Lega-Chef Matteo Salvini über Kursverlus­te an der Börse

Scheitert eine Regierungs­bildung zwischen der Fünf-Sterne-Bewegung und der Lega, wird es wohl zu Neuwahlen kommen – entweder im Herbst oder im Frühjahr. Bis dahin könnte eine Regierung die Geschäfte führen, die vom Premier geleitet würde, den Mattarella einsetzt. Laut Umfragen würde von Neuwahlen vor allem die Lega profitiere­n. Sie liegt derzeit bei 22 Prozent, bei der Wahl am 4. März hat sie 17 Prozent der Stimmen holen können. Es wird bereits spekuliert, dass Lega-Chef Matteo Salvini deshalb die Verhandlun­gen platzen lassen könnte, um Neuwahlen herbeizufü­hren.

Newspapers in German

Newspapers from Austria