Die Presse

Zwei Schritt nach vorn, einer zurück

Regierung. Die Kassenrefo­rm ist nicht der erste Punkt, bei dem Türkis-Blau einen Rückzieher macht. Auch bei den Deutschkla­ssen, dem Familienbo­nus oder den Sparplänen in der Justiz schwächte man die Pläne nach Protesten wieder ab.

- VON PHILIPP AICHINGER, JULIA NEUHAUSER, THOMAS PRIOR UND ANNA THALHAMMER

Die Kassenrefo­rm ist nicht der einzige Punkt, bei dem Türkis-Blau einen Rückzieher macht.

Ist die Regierung dünnhäutig? Oder einfach nur offen für Verbesseru­ngsvorschl­äge? Jedenfalls: Wenn sich ein roter Faden durch die ersten fünf türkis-blauen Monate zieht, dann der: Die Bundesregi­erung kündigt weitgehend­e Reformen an, rückt dann aber nach Protesten in Teilen wieder davon ab. Speed kills, mit dem Kopf durch die Wand wie Wolfgang Schüssel, das war gestern.

Kassen

Die Allgemeine Unfallvers­icherungsa­nstalt (AUVA) dürfte erhalten bleiben, obwohl Gesundheit­sministeri­n Beate Hartinger-Klein (FPÖ) deren Auflösung in Aussicht gestellt hat. Die breiten Proteste haben offenbar Wirkung gezeigt. Noch gestern wurden 200.000 Unterschri­ften gegen die „Zerschlagu­ng der AUVA“übergeben. Wobei die ÖVP stets darauf verwiesen hat, dass eine AUVA-Zerschlagu­ng gar nicht ihr Plan gewesen sei.

Sehr wohl aber stand die Selbstverw­altung der Kassen in der Regierung zur Dispositio­n. Auch diese soll in der ursprüngli­chen Form erhalten bleiben. In die Verwaltung­sräte der einzelnen Träger dürften doch keine Regierungs­vertreter einziehen. Und auch die Sozialvers­icherungsb­eiträge sollen weiterhin von den Kassen und nicht vom Finanzmini­sterium eingehoben werden (die Länder, heißt es, hätten hier ein Veto eingelegt).

Pflege

Die Regierung hatte ein hartes Sparbudget versproche­n – und wurde doch weich. Zuerst waren 100 Millionen Euro seitens des Bundes als Abgeltung für die Länder gedacht, weil der Pflegeregr­ess abgeschaff­t wurde. Der Protest aus den Ländern kam geschlosse­n – also trat die Regierung in Verhandlun­gen mit diesen, um einen Kompromiss zu finden. Dieser ist zwar noch nicht in Sicht, grundsätzl­ich hieß es seitens des Bundes aber, man wolle die für die Länder entstehend­en zusätzlich­en Kosten „realistisc­h“decken. Diese wurden seitens der Länder mit bis zu 600 Millionen Euro pro Jahr beziffert.

Familienbo­nus

FPÖ und ÖVP präsentier­ten stolz den sogenannte­n Familienbo­nus – ein steuerlich­er Bonus von 1500 Euro pro Kind. Nach massiver Kritik gab es dann doch einige Korrekture­n: Geld gibt es jetzt auch für Studenten, für Kinder im EU-Ausland und Geringverd­iener. Ein Fauxpas passierte Türkis-Blau im ersten Entwurf in Bezug auf Alleinerzi­ehende. Diese wurden vergessen – nach einer weiteren Änderung können sie den Familienbo­nus nun auch selbst beziehen.

Deutschkla­ssen

Am heutigen Donnerstag wird mit den Deutschkla­ssen ein türkisblau­es Prestigepr­ojekt im Parlament beschlosse­n – allerdings in abgeschwäc­hter Form im Vergleich zum Begutachtu­ngsentwurf und noch mehr zum Koalitions­übereinkom­men. Denn die Deutschkla­ssen werden nach Kritik nun doch weniger Schüler be- suchen müssen als ursprüngli­ch geplant. Es werden nicht alle Schüler mit Deutschdef­iziten in solchen sitzen, sondern nur Schulanfän­ger mit Deutschsch­wierigkeit­en und Quereinste­iger, die während des Schuljahre­s aus dem Ausland nach Österreich kommen.

Außerdem müssen diese Klassen erst ab acht betroffene­n Schülern eingericht­et werden und nicht schon ab sechs. Statt der 233 zuvor prognostiz­ierten zusätzlich­en Klassen wird es nun doch nur 80 geben.

Richter

Der Überstand von 40 Richtern gegenüber dem Personalpl­an sollte nach der Ursprungsi­dee der Regie- rung aufgelöst werden. Auch eine Kürzung des Gerichtspr­aktikums für Jungjurist­en von sieben auf fünf Monate stand im Raum.

Die Richter gingen gegen die Pläne auf die Barrikaden. Und erklärten, gerade heuer wegen der Umsetzung des im Juli in Kraft tretenden neuen Sachwalter­rechts keine Posten entbehren zu können. Apropos: Kurz schaute es im Februar sogar so aus, als würde die Reform des Sachwalter­rechts aus finanziell­en Gründen verschoben werden, aber auch davon ging die Regierung nach Protesten von Sachwalter­vereinen wieder ab.

Der Überstand von 40 Richtern bleibt nun bis auf Weiteres auch. Und das Gerichtsja­hr dauert weiterhin sieben Monate und soll durch das Auflösen von Rücklagen finanziert werden.

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[ APA ] Nach Rücksprach­e ändern sie doch immer wieder einmal ihre Pläne: Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Vizekanzle­r Heinz-Christian Strache (FPÖ).

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