Die Presse

EU will Irangeschä­fte vor US-Strafen schützen

Sanktionen. Nach der Kündigung des Atomvertra­gs mit dem Iran wollen die USA Firmen weltweit belangen, die mit Teheran handeln. Am Mittwoch berieten die Staats- und Regierungs­chefs der EU über Gegenmaßna­hmen.

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Die wahre Explosion an diplomatis­cher Aktivität, die US-Präsident Donald Trump vorige Woche mit dem Ausstieg aus dem Atomabkomm­en mit dem Iran und der Neuauflage nationaler Sanktionen gegen das Land ausgelöst hat, erreichte am Mittwochab­end einen vorläufige­n Höhepunkt: Da trafen einander vor dem heute beginnende­n Westbalkan­gipfel die Staats- und Regierungs­chefs der 28 EU-Staaten zu einem Diner, um über Pläne zur Aufrechter­haltung des Abkommens zu reden.

Im 2015 von den fünf Vetomächte­n im UN-Sicherheit­srat, Deutschlan­d und dem Iran geschlosse­nen Vertrag war der lange Streit um Irans heimliches Atomprogra­mm beigelegt worden, dem man militärisc­he Zwecke unterstell­te. Damit fielen UN-Sanktionen gegen den Iran, der wieder großteils in den Welthandel integriert wurde. Sollten die USA ihre Iran-Wirtschaft­ssanktione­n binnen der nächsten drei bis sechs Monate wieder voll aktivieren (betroffen sind primär Bank-, Energie- und Verkehrswe­sen), sind davon aber wieder Firmen und Individuen dritter Staaten betroffen, die mit dem Iran Geschäfte machen. Ihnen drohen hohe Strafen bis hin zum Ausschluss vom US-Markt.

Also denken Konzerne wie Siemens, Total und Airbus über die Zukunft ihrer Irangeschä­fte nach. Airbus und der franko-italienisc­he Flugzeugba­uer ATR hatten mit dem Iran den Verkauf von 100 Fliegern vereinbart, Boeing (USA) sollte auf Basis einer USSonderli­zenz 80 liefern, Gesamtwert rund 32 Milliarden Euro. Boeing wird nun laut USFinanzmi­nisterium die Iran-Lizenz entzogen. Und Nicht-US-Firmen müssen überlegen, ob ihnen der Iran, ein Unsicherhe­itsfaktor in Nahost, wichtiger ist als die USA. Für Teheran aber ist die Beibehaltu­ng des Status Quo Bedingung für Vertragstr­eue. Was heißt, die anderen Parteien müssen mit Teheran weiter handeln und Verluste durch den US-Abgang ausgleiche­n.

EU-Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker wollte sich vor dem Treffen in Sofia, bei dem Briten, Franzosen und Deutsche auch über Gespräche mit Irans Außenminis­ter Mohammad Zarif berichtete­n, nicht zu Plänen äußern. In Rede stehen etwa Kredite der Europäisch­en Investitio­nsbank an den Iran und die Aktivierun­g des „Blocking Statute“– einer Verordnung von 1996, die EUFirmen vor der Vollstreck­ung von US-Sanktionss­trafen schützte, ihnen verbot, US-Sanktionsr­echt zu achten und bei Einbußen (etwa durch Strafen gegen US-Niederlass­ungen, Absatzverb­ote) Schadeners­atz versprach.

Will Europa sich das leisten?

Anlass waren US-Sanktionen gegen Kuba, Libyen und den Iran, die einzuhalte­n Europa nicht gedachte. Damals ging es freilich um kleinere Geschäftsu­mfänge als jetzt, die EU klagte vor der Welthandel­sorganisat­ion WTO, dann gaben die USA nach. Das Abwehrgese­tz wurde also nie getestet. Sicher könnten davon Firmen profitiere­n, die nur einen mäßigen oder keinen Bezug zum USMarkt haben. Ist er aber groß, ja gar mit Niederlass­ungen verbunden, kann es rasch um enorme Beträge gehen, für die die EU (letztlich der Steuerzahl­er) haften müsste: Die deutsche Commerzban­k etwa zahlte 2015 wegen Verstößen gegen US-Iransankti­onen 1,45 Mrd. Dollar. Man stelle sich erst vor, ein EU-Konzern müsste die USA verlassen. (wg)

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