Die Presse

Asylreform steht auf der Kippe

Migrations­politik. Seit zwei Jahren können sich Europas Innenminis­ter nicht auf eine Erneuerung der Asylregeln einigen. Es steht und fällt mit der Flüchtling­sverteilun­g per Quote.

- Von unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

Unter dem frischen Schock der soeben erlittenen Flüchtling­skrise legte die Europäisch­e Kommission im Mai 2016 einen Vorschlag zum Umbau der Asylpoliti­k Europas vor, der künftigen Zusammenbr­üchen des Migrations­wesens wie im Sommer zuvor vorbeugen sollte. Zwei Jahre später haben sich die nationalen Regierunge­n, allen Lippenbeke­nntnissen über die vorrangige Wichtigkei­t der Asyl- und Migrations­politik zum Trotz, noch immer nicht auf eine gemeinsame Linie in dieser Frage einigen können. „Das größte Hindernis war und ist die Frage, wie man Solidaritä­t mit Verantwort­ung in Einklang bringt“, sagte eine mit den Verhandlun­gen im Rahmen des Rats vertraute Person zur „Presse“. „Das Problem ist: Jeder fixiert sich auf ein Detail und sagt, dass es für ihn inakzeptab­el sei. So kann man nicht verhandeln.“

Die größte Uneinigkei­t gibt es in der Frage, wie in außerorden­tlichen Drucksitua­tionen, also zum Beispiel bei plötzlich auftretend­en großen Wellen von Flüchtling­en und Migranten, ein Ausgleich zwischen den Mitgliedst­aaten an der EU-Außengrenz­e und jenen fern von ihr erzielt werden soll. Die Kommission hat vor zwei Jahren in ihrem Novellenen­twurf für die Dublin-Verordnung einen sogenannte­n Fairnessme­chanismus vorgeschla­gen. In schweren Krisensitu­ationen, etwa bei Ausbruch eines Krieges in der Nachbarsch­aft der Union, sollten Asylwerber verpflicht­end auf alle Mitgliedst­aaten aufgeteilt werden. In einer weniger dramatisch­en Lage, die dennoch eine erhöhte Belastung mit Asylverfah­ren in dem einen oder anderen Mitgliedst­aat an der Außengrenz­e mit sich bringt, sollte diese Verteilung der Flüchtling­e freiwillig geschehen. Staaten, die daran nicht teilnehmen wollen, sollten pro Asylwerber, der ihnen per Quote zugeteilt wird, den sie aber nicht annehmen wollen, 250.000 Euro an jene Mitgliedst­aaten überweisen, die mitmachen.

Die Kommission beharrt also weiterhin auf einer im Extremfall zwangsweis­e festgelegt­en Verteilung von Asylwerber­n per Quote, die auf Basis von Wirtschaft­sleistung und Bevölkerun­gsgröße ermittelt werden soll – unbeein- druckt vom politische­n Widerstand, den das vor allem in Polen, Ungarn und der Slowakei verursacht hat –, und obwohl diese Maßnahme Wasser auf die Mühlen rechtspopu­listischer EU-Feinde ist. „Die Umverteilu­ng funktionie­rt“, erklärte Migrations­kommissar Dimitris Avramopoul­os am Mittwoch. „Wir sind in Diskussion­en mit einigen Mitgliedst­aaten, die das anders sehen. Wir hoffen, dass am Ende die Vernunft siegt.“

Die Regierunge­n haben sich vorgenomme­n, bis Ende Juni eine Grundsatze­inigung über die Dublin-Reform sowie einige verwandte andere Gesetzesno­vellen zu erzielen. So muss beispielsw­eise die Richtlinie über Asylverfah­ren nachgeschä­rft werden, um einheitlic­he Standards in den Mitgliedst­aaten zu schaffen und das „Asylshoppi­ng“zu bekämpfen. Auch soll das EU-Unterstütz­ungsbüro für Asyl (Easo) auf Malta zu einer vollwertig­en EU-Agentur befördert werden. Easo soll nach den Vorstellun­gen der Kommission künftig über den geschilder­ten Grenzwert für die Ausrufung des Fairnessme­chanismus entscheide­n. Doch ausgerechn­et jetzt wurden dort dank einer Enthüllung von „Politico“schwere finanziell­e und Personalmi­ssstände bekannt.

Avramopoul­os stellte am Mittwoch Vorschläge zur besseren Verknüpfun­g der diversen europäisch­en Visa- und Asylwerber­datenbanke­n vor. Das Kernstück der Reform des gemeinsame­n Asylwesens jedoch liegt in den Händen der Innenminis­ter – beziehungs­weise der Staats- und Regierungs­chefs. Ob sie sich bei ihrem Gipfeltref­fen Ende Juni auf einen Kompromiss einigen können, steht laut der mit den Verhandlun­gen vertrauten Person in den Sternen.

 ?? [ AFP ] ??
[ AFP ]

Newspapers in German

Newspapers from Austria