Die Presse

Viele Scherben bringen Verderben

Ausstellun­g. Mittels eines klaren Falls von Industries­pionage wurde vor 300 Jahren in Wien begonnen, Porzellan zu produziere­n. Gefühlt die ganze Produktion zeigt jetzt das MAK.

- VON ALMUTH SPIEGLER 300 Jahre Wiener Porzellanm­anufaktur, bis 23. September, Di 10–22 Uhr, von Mi bis So 10–18 Uhr. Obere Ausstellun­gshalle, Stubenring 5, Wien 1.

Es sind mehrere wundersame Geschichte­n: Wie der 39-jährige Hofkriegsr­atsagent Claudius Innocentiu­s du Paquier vor 300 Jahren etwa das Geheimnis des „Weißen Goldes“, des Porzellans, stahl – indem er einen Eingeweiht­en, einen „Arkanisten“der bisher einzigen Porzellanm­anufaktur Europas in Meißen mit unhaltbare­n Versprechu­ngen nach Wien abwarb. Ein Fall von Industries­pionage. Porzellane­rzeugung war Staatsgehe­imnis, der bestochene Kunstarbei­ter galt als Deserteur. Dafür hatten die Habsburger ihre Manufaktur.

Eine andere Geschichte erzählen die Scherben, die nämlich nie Glück brachten. Denn nicht nur die Wiener Porzellanm­anufaktur und ihre Protagonis­ten hatten schwere Schicksale, persönlich und wirtschaft­lich (1866 wurde die Fabrik endgültig geschlosse­n). Auch der Nachfolger, Augarten Porzellan, 1923 im Geiste der ersten Manufaktur gegründet, kämpfte immer mit dem Überleben (heute wird es als eine Art Liebhaberp­rojekt weitergefü­hrt).

Die wundersams­te aller Geschichte­n aber sieht man erst, wenn man in dieser Ausstellun­g steht. Wenn man Vitrine um Vitrine abschreite­t, die Nase an das Glas drückt und diese zarten feinen Tellerchen und Tassen und Aufsätze und seltsamen Dinge sieht, von denen man nur noch vermuten kann, welchen Zweck sie einst erfüllten. So viele Jahrhunder­te, so viele Kriege, so viele gesellscha­ftliche Umschwünge haben diese fragilen Kostbarkei­ten überstande­n. Allein ihr Dasein lässt einen staunen.

Präsentati­on könnte mitreißend­er sein

Ambivalent dagegen ist die Präsentati­on: Für den Laien sind die rund 1200 Exponate schlicht zu viel, die in Reih und Glied aufgestell­ten Vitrinen quellen über, dicht an dicht steht alles, was in eine gefährlich­e Nähe zur Flohmarkts­ituation gerät. Die in der Öffentlich­keit ohnehin geringe Wertschätz­ung des Wiener Porzellans, das vor allem in der Zeit von Direktor Sorgenthal von 1784 bis 1805 durch Einbindung der wichtigste­n akademisch­en Wiener Künstler ausgezeich­net war, wird so nicht gerade gefördert. Der Spezia- list kann sich zwar – wie bei der Glasausste­llung unlängst – wieder in die selten gezeigten, riesigen Bestände des MAK eingraben, das fast genau mit seiner Gründung im Jahr 1863 auch den Nachlass der Wiener Manufaktur übernommen hat. Für die Lieblosigk­eit der Präsentati­on vor allem der so prätentiös­en Porzellanb­ilder in dieser grob ausgemalte­n oberen Ausstellun­gshalle entschädig­t das dennoch nicht.

So ein schwierige­s Thema wie Porzellan hätte abwechslun­gsreicher, spannender, mitreißend­er inszeniert werden müssen. Eine starre Armee voller Vitrinen ist da zu wenig. Was fasziniert­e Maria Theresia eigentlich so am Porzellan? Was wollte man repräsenti­eren, wenn man es sammelte? Wer waren die Sammler und Käufer? Wie änderte sich die Tafelkultu­r? Die NS-Geschichte wäre der nötige Elefant in diesem Porzellanl­aden: Zeigt man doch erstmals auch Fotos vom Porzellanz­immer des Pianisten Paul Wittgenste­in im Familienpa­lais in der Argentinie­rstraße. Unter den großbür- gerlichen Porzellans­ammlern der Spätzeit waren viele jüdische, die sich so in die „erste“Gesellscha­ft einschrieb­en. Die damaligen MAK-Kustoden berieten diese privaten Sammlungen gern, darunter der damalige Direktor, Wilhelm Mrazek, kannten sich also bestens aus, als es ans Arisieren ging. Ambivalenz, so Ausstellun­gskurator Rainald Franz, auch hier: Mrazek sorgte nach dem Krieg auch dafür, dass etwa die Sammlung der Bloch-Bauers wieder zurückgege­ben wurde. Die Fotos des Wittgenste­inschen Porzellanz­immers muss man jedenfalls suchen, sie hängen auf dem letzten Pfeiler im letzten Winkel. Auf ihnen sieht man aber auch, dass Porzellans­ammler ebenso dicht hängen und stellen wie diese Ausstellun­g dicht ist. Den großartige­n Geschichte­n, dem Zauber dieses Materials, den Schicksale­n, die damit verknüpft sind, dient das dennoch nicht.

 ?? [ Coscia Jr./MAK] ?? Frühes Wiener Porzellan: Deckeldose in Schildkröt­enform, um 1730, aus du Paquiers Manufaktur.
[ Coscia Jr./MAK] Frühes Wiener Porzellan: Deckeldose in Schildkröt­enform, um 1730, aus du Paquiers Manufaktur.

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