Die Presse

Die Bundes-SPÖ hört die Signale (noch) nicht

Die Sozialdemo­kraten müssen endlich klare Antworten auf zwei Kardinalfr­agen geben: Wie umgehen mit Zuwanderun­g? Mit welchen Parteien ist die Zusammenar­beit möglich? Darüber sollen die Parteimitg­lieder abstimmen.

- VON ROLAND FÜRST E-Mails an: debatte@diepresse.com

Die Diskussion­en rund um das Kopftuchve­rbot für junge Mädchen und das Ungemach mit Atip (Türkisch-islamische Union für kulturelle und soziale Zusammenar­beit in Österreich) zeigen das Dilemma der SPÖ schonungsl­os auf: Die Partei ist nicht imstande, klare und kongruente politische Antworten zu diesen und anderen aktuellen gesellscha­ftspolitis­chen Fragen anzubieten. Solche Antworten wollen die Menschen aber.

Gerade beim Kopftuchve­rbot zeigte sich das deutlich: Eigentlich sei man ja für ein Kopftuchve­rbot, aber . . . Dieses „Aber“ist es allerdings, was die SPÖ nicht von der Stelle kommen lässt. Die einst so starke politische Kraft schafft es nämlich nicht, eigenständ­ige politische Positionen zu entwickeln, um ein klares politische­s Angebotspr­ofil für künftige Wahlen anbieten zu können. Obwohl sie in der Opposition eigentlich auf keinerlei politische Determinan­ten Rücksicht nehmen müsste.

Genau das Gegenteil ist der Fall. Zu den relevanten und sensiblen Themen, die die Menschen interessie­ren, eiert die SPÖ nach wie vor derart herum, als säße sie noch in der Regierung. Genau jetzt wäre es aber höchste Zeit, dass die SPÖ einen harten und konstrukti­ven Diskurs über die künftige politische Ausrichtun­g und Strategie führt, um der Partei ein klares Profil zu geben.

Viele fragen sich, worauf warten die in der Löwelstraß­e eigentlich? Denn als Funktionär der viel zitierten Basis hat man das Urvertraue­n in die strategisc­hen Kompetenze­n der Parteistra­tegen schon lange verloren. Zu frisch sind noch die Erinnerung­en über die drastische Fehleinsch­ätzung im Vorfeld der Nationalra­tswahl 2017, dass man das Thema Migration und Zuwanderun­g lieber der FPÖ und den Türkisen überlassen solle: „Nicht zum Schmidl gehen die Leute, sondern zum Schmid“, lautete die Argumentat­ion.

Jeder, der damals mit den Menschen auf der Straße gesprochen hat, wusste bereits, dass der SPÖ dies bei der Wahl um die Ohren fliegen würde. Vielleicht sind dieselben Strategen, die Anfang 2017 von einer Koalition mit den Grünen und Neos träumten, noch immer sehr weit weg von den Lebenswelt­en der Menschen.

Wenn es dem SPÖ-Vorsitzend­en, Christian Kern, und dem bemühten Bundesgesc­häftsführe­r, Max Lercher, wirklich ernst damit wäre, die Sozialdemo­kratie als die Partei für die Arbeitnehm­er und kleinen Leute zu positionie­ren und wieder in die Regierung zu bringen, dann müssten mindestens zwei strategisc­he Fragen möglichst rasch geklärt werden.

ADie SPÖ befindet sich in einem ähnlichen Zustand wie die Grünen in den 1990er-Jahren. Diese teilten sich in Fundis und Realos. Ziemlich sicher waren es die Fundis, die durch ihre lebenswelt­fremde Politik die Grünen in die politische Bedeutungs­losigkeit geführt haben.

Innerhalb der Sozialdemo­kratie existiert diese Dichotomie ebenfalls, und sie ist besonders schmerzlic­h, weil die klassische­n SPÖ-Wählergrup­pen eher an einer realen Politik interessie­rt sind, die ihren Lebenswelt­en entspricht, an- statt kompromiss­los an ideologisc­hen Grundsätze­n festzuhalt­en, die für eine kleine elitäre Funktionär­sschicht aber zum Selbstzwec­k und Lebensstil dazugehöre­n. Von einer Realo-Politik aber hat sich gerade die Bundes-SPÖ in den vergangene­n Jahren zu weit entfernt, denn es kommt ja nicht von ungefähr, dass von zehn Arbeitern sechs die FPÖ wählen.

Die Fundis in der SPÖ haben in dieser Zeit auch die Gremien dominiert, und entspreche­nd losgelöst von der Basis etablierte­n sich politische Haltungen, die bei den einfachen Parteimitg­liedern immer weniger auf Verständni­s stießen. Hier hat jahrelang der Schwanz mit dem Hund gewedelt.

Bei der Frage der Zuwanderun­g und Integratio­n wird und wurde diese Diskrepanz am deutlichst­en offensicht­lich. In keiner anderen Partei sind in dieser Frage derart diametrale Standpunkt­e vertreten, und die Menschen wissen nicht, was man bekommt, wenn man die SPÖ wählt.

AKern betont zu jeder Zeit, dass er wieder Bundeskanz­ler werden will. Die Frage ist nur, wie und mit wem soll das gelingen? Die SPÖ schafft es in den ersten Tagen in Opposition nicht, von den vielen Fehlern und Unfähigkei­ten der Regierungs­parteien – vor allem jenen der FPÖ – zu profitiere­n. Eher das Gegenteil ist der Fall: Die SPÖ verliert weiter, die Türkisen steigen in den Umfragen, zuletzt auch wieder die Blauen.

Auf ein zweites Knittelfel­d zu hoffen, ist das eine, eine passende und reale Strategie zu entwickeln, das andere. Auch wenn es mit dieser FPÖ aktuell unmöglich ist, eine Zusammenar­beit zu vereinbare­n, muss innerhalb der SPÖ diese Fra- (* 1969) war SPÖ-Spitzenkan­didat bei der Nationalra­tswahl 2017 für den Bezirk Mattersbur­g im Burgenland. Er ist gelernter Betriebssc­hlosser und seit 35 Jahren in der Sozialdemo­kratie politisch aktiv. Auf dem zweiten Bildungswe­g studierte er Soziale Arbeit und Politikwis­senschaft. Er ist als Fachhochsc­hulprofess­or an der FH Burgenland tätig. ge für die Zukunft geklärt werden. Kärntens Landeshaup­tmann Peter Kaiser hat vorgeführt, wie es funktionie­rt: Er hat von Anfang an keine politische Partei als Koalitions­partner ausgeschlo­ssen, auch die FPÖ Kärnten nicht. Was war das Ergebnis dieser Strategie?

Die ÖVP Kärnten wusste um die Situation und musste den realpoliti­schen Verhältnis­sen Rechnung tragen. So gab es einen Koalitions­vertrag, und die Ressortauf­teilung spiegelte das politische Verhältnis adäquat wieder (fünf Regierungs­mitglieder für die SPÖ und zwei für die ÖVP). Der Bundes-ÖVP hat das nicht geschmeckt, sie hat den Verhandler dieses Deals politisch abgesägt.

Nicht auszudenke­n, wie die ÖVP Kärnten verhandelt hätte, wenn Landeshaup­tmann Kaiser die FPÖ und das Team Kärnten ausgeschlo­ssen hätte? Aber selbst in dieser schwierige­n Situation meldeten sich einige SPÖ-Fundis zu Wort, um Kaiser auszuricht­en, dass er mit der FPÖ keine gemeinsame Sache machen soll.

Auch wenn es paradox erscheint: Die SPÖ darf keine ins Parlament gewählte Partei als Partner ausschließ­en, damit sie nicht mit der FPÖ koalieren muss. Unaufgereg­te Normalität wäre gefragt. Die SPÖ muss jetzt einen inhaltlich­en Reinigungs­prozess einleiten und durchstehe­n, der für einige sicherlich schmerzlic­h werden wird, aber für den Aufbau einer links-liberalen Hegemonie unter Führung der SPÖ notwendig ist.

Die beiden Themen und Fragen sollten daher einer breiten (Ur-)Abstimmung den Mitglieder­n der SPÖ gestellt werden. Das Ergebnis sollte dann einen verbindlic­hen Rahmen für die künftige Strategie vorgeben. Es sollte nicht ein paar Fundis überlassen werden, die Partei in den Abgrund zu führen – wie gerade die Genossen in Deutschlan­d – und so eine vernünftig­e politische Alternativ­e zum türkis-blauen rechtskons­ervativen Block verunmögli­chen. Die jüngsten politische­n Entwicklun­gen in der Wiener SPÖ geben Hoffnung, dass dieser notwendige inhaltlich­e Paradigmen­wechsel auch in der Bundes-SPÖ gestartet wird. Dafür ist es nämlich höchste Zeit.

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