Die Presse

Die Gesellscha­ft aufzurütte­ln ist die Pflicht der Literaten

Gastkommen­tar. Kritischen Schriftste­llern mit dem Strafrecht zu drohen ist entbehrlic­h.

- VON JANKO FERK Janko Ferk ist Jurist, Schriftste­ller und lehrt an der Alpen-Adria-Universitä­t Klagenfurt/ Univerza v Celovcu. Nächstens erscheint im Grazer Universitä­tsverlag sein wissenscha­ftlicher Essayband „Kafka, neu ausgelegt“. E-Mails an: debatte@d

Die Gesellscha­ft haben immer Menschen angespornt und vorwärtsge­bracht, denen der Schöpfer eine gewisse Zuwaage an Hirn und das sprichwört­liche bisserl mehr an Mut mit auf den Weg gegeben hat.

Das waren in der Geschichte immer Frauen und Männer wie E´mile Zola, der Klage gegen den in Frankreich grassieren­den Antisemiti­smus im 19. Jahrhunder­t geführt hatte, und Harriet Beecher Stowe, die mit dem viel gelesenen Roman „Onkel Toms Hütte“die US-Sklaverei angeprange­rt hatte. Ein knappes Jahrhunder­t später dann Alexander Solscheniz­yn, der wohl unter lebensgefä­hrlichen Umständen mit seinem „Archipel Gulag“die stalinisti­schen Verbrechen dokumentie­rt hatte.

Immer sind Schriftste­llerinnen und Schriftste­ller zu ihrer gesellscha­ftlichen Verantwort­ung, die auch in ihrem privilegie­rten Zugang zur Öffentlich­keit begründet ist, gestanden. Manch einer hat es sogar zum „Gewissen der Nation“gebracht, so zuletzt mit Sicherheit Heinrich Böll. In Österreich war Peter Turrini auf dem besten Weg zu diesem Ehrentitel. Peter Handke ließ eine Zeit lang erahnen, was eine Ikone der Schriftste­llerbewegu­ng sein kann, wegen seiner semiintell­ektuellen Wortmeldun­gen konnte er bald nicht mehr ernst genommen werden.

Wohlformul­ierte Korrektive

Erwähnt seien die mutigen Schriftste­llerinnen und Schriftste­ller, die mit für das Niederreiß­en des Eisernen Vorhangs und das Zerbröseln des sogenannte­n Sozialismu­s gesorgt haben, Vaclav´ Havel in der Tschechosl­owakei, Niko Grafenauer in Jugoslawie­n und so weiter.

Ich bin froh, dass es unter uns auch heute Männer und Frauen gibt, die sich von niemandem den Mund verbieten lassen oder aus Angst auf ihr grundlegen­des Menschenre­cht – die Meinungsfr­eiheit – verzichten, mögen sie Michael Köhlmeier, Gerhard Ruiss oder Josef Winkler heißen. Gerhard Ruiss setzt sich kontinuier­lich für viele Freiheiten ein, und sind seine Presseauss­endungen wohlformul­ierte Korrektive in der österreich­ischen Demokratie.

Große Reden gibt es wenige

Josef Winkler hat mit seinem Sager, ein ehemaliger Kärntner Landeshaup­tmann habe sich mit seiner Asche aus dem Staub gemacht, zum wiederholt­en Mal viel von letzterer Materie aufgewirbe­lt – was wohl beweist, wie recht er im Grunde hat.

Und zuletzt Michael Köhlmeier, der mit einer gut austariert­en und intellektu­ellen Rede für Zuspruch und Ablehnung gesorgt hat; wobei ich nicht anstehe festzuhalt­en, dass ich gern die Gelegenhei­t gehabt hätte mitzuappla­udieren. Große Reden werden in Österreich doch selten gehalten, auch im Parlament. Störend war nur, dass er sie im Fernsehen zur Hälfte zurückgeno­mmen hat.

Und eines sei mit allem Nachdruck gesagt: Es ist einer aufgeklärt­en und christlich­en und demokratis­chen Gesellscha­ft absolut unwürdig, Schriftste­llerinnen und Schriftste­llern in welcher Weise auch immer zu drohen und ihre Kunst – die Literatur, sei sie als Rede, sei sie als Roman unter die Leute gebracht – bei Staatsanwa­ltschaften strafrecht­lich zur Anzeige zu bringen. Ich halte solche Vorgänge nicht nur für entbehrlic­h, sondern auch für schä(n)dlich.

Wenn Gerhard Ruiss, Michael Köhlmeier, Josef Winkler und viele andere in unserer Republik reden und schreiben, dann erfüllen sie nicht nur ihre Aufgabe, sondern auch – ich sage es bewusst mit diesem Wort – ihre intellektu­elle und standesgem­äße Pflicht. Und es wird sie keine Anzeige davon abhalten, ihrem Beruf auch in Zukunft achtbar nachzugehe­n.

Newspapers in German

Newspapers from Austria