Bleiburg: Über den Brauch, der Toten würdig zu gedenken
Die Kroaten haben in einem halben Jahrhundert zwei Bürgerkriege erlebt. Auf österreichische Lektionen in Erinnerungskultur können sie verzichten.
Parturient montes, nascetur ridiculus mus“– Es kreißen die Berge, zur Welt kommt eine lächerliche Maus (Horaz). Der mediale Hype rund um das „größte Faschistentreffen Europas“, das angeblich am vergangenen Samstag in Bleiburg stattgefunden hat, ist abgeklungen. In aller Ruhe versammelten sich dort wie jedes Jahr zehntausend Kroaten zu einer Gedenkmesse für die im Mai und Juni 1945 von kommunistischen Partisanen massakrierten Landsleute.
Die Regeln, die die Diözese Gurk mit der kroatischen Kirche vereinbart hatte, wurden eingehalten. Gelassen verrichteten die Kärntner Polizisten ihren Dienst. Es gab, wie jedes Jahr, ein paar Festnahmen und Anzeigen. Journalisten, die das Vernadern für ihre Berufspflicht halten, wiesen die Beamten darauf hin, wer unter seinem T-Shirt ein tätowiertes U (für Ustasa)ˇ versteckt haben könnte.
Ob sich, wie behauptet, die Neonazis während der Messe „vernetzt“haben, etwa durch den Austausch von Visitenkarten nach dem Vaterunser, konnte nicht geklärt werden. Bei einer Gegendemonstration zeigten sich 100 „Antifaschisten“. In Deutschland interessierte das Ereignis am Sonntag nicht einmal mehr die linken Medien, die sich in heftiger Sekundärerregung den österreichischen Kollegen angeschlossen hatten.
Was für ein Jammer für unsere Linken! Eine einmalige Chance wurde vergeigt, die Regierung der Duldung (Kurz) und Förderung (Strache) faschistischer Umtriebe zu überführen und gleich auch noch die katholische Kirche anzupatzen.
Es hat in Österreich der NS-Herrschaft und dann noch vieler Jahre bedurft, bis die Bürgerkriegsmentalität endlich überwunden wurde. Die Kroaten haben ein wesentlich schlimmeres Erbe aufzuarbeiten. Nach dem deutschen Einmarsch etablierte sich im Namen ihres ersehnten Nationalstaats die blutrünstigste aller Balkan-Diktaturen. Jasenovac, das größte der mehr als 20 kroatischen Konzentrationslager, symbolisiert den Terror der Ustasa,ˇ deren erklärtes Ziel es war, das Land restlos von Serben und Juden zu „säubern“. Zahlreiche, zumeist junge Kleriker schlossen sich den Faschisten an, unter ihnen viele der besonders nationalistischen und fanatischen Franziskaner aus Bosnien-Herzegowina, aber auch zwei Bischöfe.
„In der Praxis führten Militärgeistliche der Ustasaˇ mit den wild marodierenden Banden in serbisch bewohnten Dörfern Massenkonversionen der gesamten Bevölkerung mit vorgehaltener Waffe durch“, schreibt Claudia Stahl in ihrer vorzüglichen Biografie des Zagreber Erzbischofs Alojzije Stepinac, der sich – wie sie anhand vieler Dokumente belegt – der Ustasaˇ entschieden widersetzt hat. Der Bürgerkrieg setzte sich in Kärnten fort, als die Briten im Mai 1945 mehr als 200.000 Antikommunisten den Tito-Partisanen auslieferten, die in wenigen Tagen und Wochen an die 100.000 ermordeten. Der Kärntner Historiker Florian Thomas Rulitz schildert „Die Tragödie von Bleiburg und Viktring“detailliert in seinem Buch.
Tito ist der einzige unter den großen Massenmördern des 20. Jahrhunderts, der heute noch geehrt wird, obwohl seine Verbrechen die anderer kommunistischer Diktatoren bei Weitem überragen.
Was vor und nach 1945 geschehen ist, ist historisch längst gründlich erforscht worden. Aber weder die Nationalkonservativen noch die exkommunistischen Linken in Kroatien wollen sich diese Erkenntnisse aneignen. In den 1990er-Jahren nährte die großserbische Aggression noch einmal die nationalistischen Ressentiments. Abermals verwandelte die Geschichte Täter in Opfer und Opfer in Täter.
Vor neun Jahren besuchte der Erzbischof von Zagreb, Josip Kardinal Bozani, zum ersten Mal die Gedenkstätte in Jasenovac. In der kroatischen Linken wagte es bisher kein Politiker, Titos Opfern in Bleiburg seinen Respekt zu erweisen. Die Kroaten brauchen Zeit. Auf die Einmischung von Österreichern, die ihnen Lehren erteilen und alte Konflikte anheizen, können sie verzichten.
Journalisten, die Vernadern für ihre Berufspflicht halten, gaben den Beamten Hinweise auf mögliche UstaˇsaSympathisanten.