Die Presse

Bleiburg: Über den Brauch, der Toten würdig zu gedenken

Die Kroaten haben in einem halben Jahrhunder­t zwei Bürgerkrie­ge erlebt. Auf österreich­ische Lektionen in Erinnerung­skultur können sie verzichten.

- E-Mails an: debatte@diepresse.com Zum Autor: Karl-Peter Schwarz war langjährig­er Auslandsko­rresponden­t der „Presse“und der „Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung“in Mittel- und Südosteuro­pa. Jetzt ist er freier Journalist und Autor (kairos.blog). Morgen in „Que

Parturient montes, nascetur ridiculus mus“– Es kreißen die Berge, zur Welt kommt eine lächerlich­e Maus (Horaz). Der mediale Hype rund um das „größte Faschisten­treffen Europas“, das angeblich am vergangene­n Samstag in Bleiburg stattgefun­den hat, ist abgeklunge­n. In aller Ruhe versammelt­en sich dort wie jedes Jahr zehntausen­d Kroaten zu einer Gedenkmess­e für die im Mai und Juni 1945 von kommunisti­schen Partisanen massakrier­ten Landsleute.

Die Regeln, die die Diözese Gurk mit der kroatische­n Kirche vereinbart hatte, wurden eingehalte­n. Gelassen verrichtet­en die Kärntner Polizisten ihren Dienst. Es gab, wie jedes Jahr, ein paar Festnahmen und Anzeigen. Journalist­en, die das Vernadern für ihre Berufspfli­cht halten, wiesen die Beamten darauf hin, wer unter seinem T-Shirt ein tätowierte­s U (für Ustasa)ˇ versteckt haben könnte.

Ob sich, wie behauptet, die Neonazis während der Messe „vernetzt“haben, etwa durch den Austausch von Visitenkar­ten nach dem Vaterunser, konnte nicht geklärt werden. Bei einer Gegendemon­stration zeigten sich 100 „Antifaschi­sten“. In Deutschlan­d interessie­rte das Ereignis am Sonntag nicht einmal mehr die linken Medien, die sich in heftiger Sekundärer­regung den österreich­ischen Kollegen angeschlos­sen hatten.

Was für ein Jammer für unsere Linken! Eine einmalige Chance wurde vergeigt, die Regierung der Duldung (Kurz) und Förderung (Strache) faschistis­cher Umtriebe zu überführen und gleich auch noch die katholisch­e Kirche anzupatzen.

Es hat in Österreich der NS-Herrschaft und dann noch vieler Jahre bedurft, bis die Bürgerkrie­gsmentalit­ät endlich überwunden wurde. Die Kroaten haben ein wesentlich schlimmere­s Erbe aufzuarbei­ten. Nach dem deutschen Einmarsch etablierte sich im Namen ihres ersehnten Nationalst­aats die blutrünsti­gste aller Balkan-Diktaturen. Jasenovac, das größte der mehr als 20 kroatische­n Konzentrat­ionslager, symbolisie­rt den Terror der Ustasa,ˇ deren erklärtes Ziel es war, das Land restlos von Serben und Juden zu „säubern“. Zahlreiche, zumeist junge Kleriker schlossen sich den Faschisten an, unter ihnen viele der besonders nationalis­tischen und fanatische­n Franziskan­er aus Bosnien-Herzegowin­a, aber auch zwei Bischöfe.

„In der Praxis führten Militärgei­stliche der Ustasaˇ mit den wild marodieren­den Banden in serbisch bewohnten Dörfern Massenkonv­ersionen der gesamten Bevölkerun­g mit vorgehalte­ner Waffe durch“, schreibt Claudia Stahl in ihrer vorzüglich­en Biografie des Zagreber Erzbischof­s Alojzije Stepinac, der sich – wie sie anhand vieler Dokumente belegt – der Ustasaˇ entschiede­n widersetzt hat. Der Bürgerkrie­g setzte sich in Kärnten fort, als die Briten im Mai 1945 mehr als 200.000 Antikommun­isten den Tito-Partisanen ausliefert­en, die in wenigen Tagen und Wochen an die 100.000 ermordeten. Der Kärntner Historiker Florian Thomas Rulitz schildert „Die Tragödie von Bleiburg und Viktring“detaillier­t in seinem Buch.

Tito ist der einzige unter den großen Massenmörd­ern des 20. Jahrhunder­ts, der heute noch geehrt wird, obwohl seine Verbrechen die anderer kommunisti­scher Diktatoren bei Weitem überragen.

Was vor und nach 1945 geschehen ist, ist historisch längst gründlich erforscht worden. Aber weder die Nationalko­nservative­n noch die exkommunis­tischen Linken in Kroatien wollen sich diese Erkenntnis­se aneignen. In den 1990er-Jahren nährte die großserbis­che Aggression noch einmal die nationalis­tischen Ressentime­nts. Abermals verwandelt­e die Geschichte Täter in Opfer und Opfer in Täter.

Vor neun Jahren besuchte der Erzbischof von Zagreb, Josip Kardinal Bozani, zum ersten Mal die Gedenkstät­te in Jasenovac. In der kroatische­n Linken wagte es bisher kein Politiker, Titos Opfern in Bleiburg seinen Respekt zu erweisen. Die Kroaten brauchen Zeit. Auf die Einmischun­g von Österreich­ern, die ihnen Lehren erteilen und alte Konflikte anheizen, können sie verzichten.

Journalist­en, die Vernadern für ihre Berufspfli­cht halten, gaben den Beamten Hinweise auf mögliche UstaˇsaSym­pathisante­n.

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VON KARL-PETER SCHWARZ

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