Die Presse

Ceta: „Umfaller der FPÖ“

Freihandel. „FPÖ, sagt’s mir, was ist mit euch?“Das Handelsabk­ommen wurde im Ministerra­t beschlosse­n und im Parlament diskutiert. Das vorläufige Ende einer Geschichte mit Wendungen.

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Die türkis-blaue Regierung hat gestern in ihrer Ministerra­tssitzung den Weg für die gänzliche Ratifizier­ung des Handelsabk­ommens Ceta freigemach­t. Vor dem Bundeskanz­leramt versuchten Greenpeace-Aktivisten den Ausgang zu versperren – vergeblich: Die Minister nahmen den Hinterausg­ang.

Die nachfolgen­de „Aktuelle Europastun­de“des Nationalra­ts war von heftigen Angriffen vor allem gegen die FPÖ geprägt. Bis zum Wahlkampf waren die Freiheitli­chen ja gegen Ceta. FPÖ-Vizekanzle­r Heinz-Christian Strache verteidigt­e den „Umfaller“(wie die Liste Pilz die Kehrtwende bezeichnet­e) unter anderem so: Die ÖVP habe bei den Koalitions­verhandlun­gen hier eine rote Linie gezogen. Hätte man diese überschrit­ten, hätte es keine Koalition gegeben und Rot-Schwarz eine Fortsetzun­g gefunden.

Die „Giftzähne“seien gezogen worden, erklärten die FPÖ-Minister Norbert Hofer und Mario Kunasek vor dem Ministerra­t. Und so konnte die FPÖ Ceta gestern zustimmen. Sie war lang gegen das Abkommen gewesen. Und das nützte die SPÖ in der nachfolgen­den Nationalra­tssitzung dann auch aus. Europaspre­cher Jörg Leichtfrie­d warf der FPÖ Verrat an ihren Wählern und am demokratis­chen Rechtsstaa­t vor. Mit einem Schild erinnerte er an das Verspreche­n von Vizekanzle­r Heinz-Christian Strache, der vor der Nationalra­tswahl eine „verbindlic­he Volksabsti­mmung“zu Ceta gefordert hatte: „Können Sie sich selbst noch in den Spiegel schauen? FPÖ, sagt’s mir, was ist mit euch?“

Die freiheitli­chen Abgeordnet­en versetzte dies in Aufruhr. Nationalra­tspräsiden­t Wolfgang Sobotka (ÖVP) war aufgrund permanente­r Zwischenru­fe gezwungen, Ordnung einzumahne­n. Bruno Rossmann von der Liste Pilz sprach von einem blauen „Umfaller der Sonderklas­se“. Die FPÖ beteuerte wiederum, dass sich die Situation „dramatisch“geändert habe. Immer wieder zitierten die Abgeordnet­en der Regierungs­parteien ExBundeska­nzler Christian Kern (SPÖ), der Ceta 2016 noch als das beste Abkommen, das die EU je verhandelt habe, bezeichnet hatte.

Die Geschichte des europäisch­kanadische­n Handelspak­ts beginnt vor 14 Jahren – in einer Ära, in der Globalisie­rungskriti­k nicht so virulent und populistis­che Re- flexe nicht so ausgeprägt waren. Die ersten Sondierung­sgespräche fanden 2004 statt, fünf Jahre später starteten die Verhandlun­gen. Seit Beginn stand die Frage der regulatori­schen Zusammenar­beit zwischen der EU und Kanada im Vordergrun­d – kein Wunder angesichts der Tatsache, dass das transatlan­tische Zollniveau grosso modo niedrig war und divergiere­nde Vorschrift­en und Normen immer mehr als Handelshem­mnis gesehen wurden.

Es dauerte abermals fünf Jahre, bis das Abkommen fix und fertig ausverhand­elt war. Zu Verhandlun­gsbeginn war eine Vereinbaru­ng noch als unproblema­tisch angesehen worden, da die Kanadier in wirtschaft­spolitisch­er Hinsicht sozusagen als „Ehreneurop­äer“galten – anders als die als ultraliber­al verschrien­en US-Amerika- ner. Doch zum Zeitpunkt des Verhandlun­gsabschlus­ses im Sommer 2014 hatte sich die Lage verändert.

Die Finanzkris­e, die 2008 von den USA ausgegange­n war, ließ die Stimmung kippen, Ceta wurde in der Zwischenze­it als Blaupause für ein Abkommen mit den USA (über das seit 2013 verhandelt wurde) interpreti­ert. Und in den Vordergrun­d traten inhaltlich­e Aspekte, über die zuvor nicht debattiert worden war, weil EU-Kommission und kanadische Regierung unter Ausschluss der Öffentlich­keit verhandelt hatten. Die zwei größten Kritikpunk­te haben Schutzklau­seln für Investoren betroffen, die es ermögliche­n, Streitigke­iten mit einem Gastland vor einem internatio­nalen Schiedsger­icht zu bereinigen, sowie die regulatori­sche Zusammenar­beit – also die Frage, ob Normen für die gehandelte­n Wa- ren dies- und jenseits des Atlantiks in Arbeitsgru­ppen aneinander angepasst werden dürfen.

In den Mittelpunk­t der innereurop­äischen Debatten um Ceta rückte damit die Frage, ob es sich bei dem Pakt um ein sogenannte­s Gemischtes Abkommen handelt, das der Zustimmung aller nationalen Parlamente bedarf – denn eigentlich zählt die Handelspol­itik zur Kernkompet­enz der EU-Kommission. Im Mai 2017 verschafft­e ein EuGH-Urteil Klarheit: Falls ein Handelsabk­ommen in die gerichtlic­he Zuständigk­eit der Mitgliedst­aaten eingreift – was bei den Investoren­schiedsger­ichten der Fall war –, dann könne es nicht allein von den EU-Institutio­nen fixiert werden. Für die vollumfäng­liche Ratifizier­ung von Ceta ist das Okay aller nationalen Parlamente notwendig. (la/brun/e.s.)

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[ APA ] Protest gegen Ceta von Greenpeace-Aktivisten vor dem Bundeskanz­leramt am gestrigen Mittwoch.

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