„Capriccio“: Sie singen, um zu reden, reden . . .
Der Opern-Schwanengesang von Richard Strauss in großteils edler Besetzung wieder in der Staatsoper.
Es ist und bleibt ein Stück, bei dem mancher Besucher nach einiger Zeit das Weite sucht: 140 Minuten ohne Pause wird in „Capriccio“darüber disputiert, ob in der Oper Wort oder Ton der Vorrang gebührt. Das war 1942 die schiere Weltflucht, das halten auch unter friedlichen Umständen viele Opernfreunde für provokant – zudem gehen heute etliche Pointen mangels kulturhistorischem Wissen verloren.
Gesetzt den Fall, man versteht sie überhaupt. An der Wiener Staatsoper zeigt man Strauss’ letzte Oper in Marco Arturo Marellis etwas possenhafter Inszenierung wieder und hat eine Besetzung parat, die viel von der „Konversation“, die der Komponist und sein Adlatus Cremens Krauss sich ausgedacht haben, verständlich macht. Textdeutlichkeit ist Trumpf bei Michael Schade und Adrian Eröd, die als Komponist und Dichter seit der Premiere dieser Produktion um die Gunst der Comtesse Madeleine buhlen. Ebenso beim Bruder der gräflichen Muse, Markus Eiche, der mit prägnanter Diktion und wohltönendem Gesang beweist, dass er auch in einer Regie, die diese Figur nicht zum Kasperl degradiert, glänzend reüssieren könnte.
Wolfgang Bankl gibt wieder den La Roche mit der rechten Mischung aus Popanz und zu Herzen gehendem, weil ehrlich erarbeitetem Künstlerstolz. Als Satyrn umkreisen den theatralischen Traditionsbewahrer die tatsächlich als Karikaturen angelegten „italienischen Sänger“: Daniela Fally und Pavel Kolgatin nutzen ihre Chance inklusive tadellosem hohem C zur köstlichen Parodie belcantesker Unsitten. Worüber die librettogerecht arrogante Hofschauspielerin Angelika Kirschschlager nur müde lächeln kann – sie singt und spielt im Bewusstsein, die bewundernden Schlagzeilen von tags darauf schon in der Tasche zu haben.
Philharmonische Dominanz
Anna Gabler hat es nicht leicht, in einer solch hochkarätigen Umgebung und in den Fußstapfen wahrhaft erlauchter Interpretinnen als Zentralsonne zu leuchten: Ihre Gräfin ist spürbar beschäftigt, ihren Sopran während der plaudernden Fachsimpeleien bei jeder erdenklichen Gelegenheit auf die weiten RichardStrauss-Bögen des großen Finales vorzubereiten. Die bewältigt sie mit herbfrischem Timbre sicher, wenn auch vielleicht nicht sehr persönlichkeitsstark.
Getragen wird der Abend vom Spiel des Staatsopernorchesters, dessen Solisten unter Michael Boders souverän-ruhiger Führung viele der kleinen Apercus¸ liebevoll modellieren, mit denen Strauss seinen bilderreichen Text akustisch illustriert. Vor allem aber blüht der legendäre philharmonische Strauss-Klang ungehindert auf, nicht erst in der „Mondscheinmusik“, auch schon nach den Dialogen der Gräfin mit ihren Verehren. Das ist pures akustisches Glück und macht den langen Einakter für Kenner zur Kurzweil.