Ein nachtschwarzer „Don Karlos“
Residenztheater. Martin Kuˇsej inszeniert in München Friedrich Schillers Freiheitsdrama präzise als böse Utopie. Dabei wird das Bleierne der Zeit etwas zu ausführlich zelebriert.
Finster ist es im Residenztheater München am Donnerstag bei der Premiere. Ein Dröhnen verbreitet Ungemach. Zwei Drohnen mit Scheinwerfern fliegen über die Bühne, ins Parkett. Nicht „die schönen Tage von Aranjuez sind nun zu Ende“, die im dramatischen Gedicht „Don Karlos“(1787) eingangs vom königlichen Beichtvater Domingo beim Aushorchen des Titelhelden erwähnt werden (die blieben hier ausgespart). Nein, die bleierne Zeit ist in Spanien angebrochen, das nach Dominanz in der Welt drängt und in seinem Herrschaftsbereich den rechten Glauben durchsetzen will. Gegen solchen Zwang hat Friedrich Schiller vielfach mit Plädoyers für die Freiheit angeschrieben. Martin Kusejˇ folgt ihm ohne Wenn und Aber. Der Intendant des Residenztheaters lässt in seiner Inszenierung von Anfang an keine Zweifel daran, dass hier und jetzt ein mörderisches Regime herrscht.
Mit aller Macht werden Geheimnisse ausspioniert. Bald huschen Killerkommandos mit modernen Waffen über die Bühne, lassen Menschen verschwinden, die sie zuvor offenbar gefoltert haben. Die Opfer werden in ein Becken gestoßen. Platsch! So enden an diesem Abend prinzipiell die Prozesse der Inquisition, die Morde und der Freitod. Einmal, als eine Reihe von Oppositionellen drankommt, gibt es sogar ein kleines Autodafe.´ Der Henker leert Benzin aus Kanistern in den nicht sichtbaren Pool. Paff! Es brennt das Land. Alle hier sind mitternachtsblau bis schwarz gekleidet, die Männer martialisch, die Damen bei Hofe haben zuweilen auch getönte Brillen auf.
Bert Wredes tieftönende Musik trägt ebenfalls zur bedrohlichen Stimmung bei. Mehr als vier Stunden dauert die Auffüh- rung, die von großen Gefühlsschwankungen und Pathos gezeichnet ist. Am Ende des Fünfakters, einer Mischung aus Polit-Intrigen und Familienmelodram in höchsten Kreisen, bedecken Leichensäcke die Bühne.
Dieser „Don Karlos“ist nichts für zarte Gemüter. Er überfordert. Nicht nur die Herrschaft des Habsburgers Philipp II. mit streng katholischem Totalitarismus belastet alle, sondern gezwungenermaßen und wohl absichtlich macht das auch die Inszenierung. Passagen werden bewusst zerdehnt. Dann legt sich Schweigen wie Mehltau über den Saal. Die gut akzentuierten, großen menschlichen Szenen dazwischen befreien. Dann perlt gekonnt der Blankvers. Manchmal aber wird wie bei einer Charade agiert, wenn zum Beispiel die Granden, erschöpft vom wechselseitigen Ränkespiel, erstarrt um ihren König stehen. Einem kranken Mann – verzehrt von Eifersucht, Machtverlust fürchtend, unfähig zu lieben. Thomas Loibl verleiht diesem verbogenen Charakter Komplexität.
Die dunkle Seite der Macht
Gespielt wird in einem Bühnenbild, das vor Kälte strotzt. Annette Murschetz lässt zwischen elementaren Zuständen wechseln: Als einziges royales Zugeständnis senkt sich zuweilen vom Schnürboden her ein riesiger Luster herab, wenn die Szene staatstragend wird. Meist aber herrscht Finsternis, aus der schemenhaft Figuren in Lichtkegel treten. Wenn zum Beispiel der unglückliche Don Karlos (Nils Strunk) mit Domingo (Thomas Lettow) in der ersten Szene spricht, steht nur der Geistliche an der Rampe, während die Stimme des Prinzen wie aus dem Off tönt. Hier will sich fast jeder der peinlichen Befragung entziehen. Nur als Ausnahme ist Gefühlsüberschwang erlaubt, dann aber kräftig. Das liegt Strunk: Der halb nackte Karlos und sein für die Freiheit der Niederlande werbender Freund, der Marquis von Posa (Franz Pätzold), herzen sich in homoerotischer Aufladung. Die wiederholt sich zwanghaft in den Szenen mit dem König. Sogar der wird geküsst. Er fühlt sich ebenfalls nicht sicher. Über ihn wacht, wie sich am Ende herausstellt, der Großinquisitor, von Manfred Zapatka großartig als dunkle Seite der Macht gespielt. Zu ihr gehört auch der Herzog von Alba. Marcel Heuperman lässt ihn als robusten Vertreter gerissener Realpolitik erscheinen, während Pätzold den Posa als vergleichsweise sympathischen Macher spielt.
Wahrscheinlich werden alle hier stets belauscht. Darauf lässt ein abhörsicherer Raum schließen, der mit blauen Schaumstoffpyramiden verkleidet ist (sie erschweren auch das Hören). Dort werden gefährliche Geheimnisse offen ausgetauscht – etwa, dass der Stiefsohn die Mutter liebt, die ihm einst versprochen war, dann aber den König heiraten musste. Aus Staatsräson. Jetzt aber kocht kurz Leidenschaft auf. Auch eine Prinzessin liebt vergeblich. Sie verrät alles aus Rache, weil sie vom Prinzen erst falsch umworben, dann verschmäht, zudem vom König zum Objekt der Begierde gemacht wurde. Meike Droste spielt diese Eboli famos, die menschlichste all dieser Figuren neben der armen Königin Elisabeth (Lilith Häßle). Sie sind helle Tupfer in einer todernsten Inszenierung, die Schillers Schwarz gegenüber seinem Weiß bevorzugt, das Farbige bis auf sparsamen Einsatz von Blut meidet, wissend um das Ende: Tot ist der Freund, ausgestorben in Karlos die Natur. „Gute Nacht denn, Mutter“, sagt er am Ende und verspricht, ihr aus Gent zu schrieben. Längst aber ist sein Fluchtversuch entdeckt, die Freiheit verloren. Der König geht mit der Königin ab.
Die Inquisition wird das Ihre tun.