Die Presse

Ach, diese Bücherwürm­er

Film. Mit „Der Buchladen der Florence Green“schwelgt Regisseuri­n Isabel Coixet in Erinnerung­en an eine Zeit, als man Romane noch nicht über Amazon bestellt hat.

- VON MARTIN THOMSON

Auf der letzten Frankfurte­r Buchmesse wurde „Der Buchladen der Florence Green“mit dem Preis für die beste Literaturv­erfilmung ausgezeich­net. Im Kontext der Veranstalt­ung eine passende Wahl. Wo das geschriebe­ne Wort großteils noch in seiner gedruckten, gebundenen und mit den Fingern betastbare­n Form angepriese­n wird, ist man für die Geschichte einer Buchladenb­esitzerin (hinreißend: Emily Mortimer) im England der Fünfzigerj­ahre empfänglic­h. Regisseuri­n Isabel Coixet lässt ein verlorenes Zeitalter aus Papier und suchenden Händen, die über Bücherrück­en streichen, wiederaufe­rstehen. Zeitgenöss­ische Anhänger einer nostalgisc­hen Retro-Lesekultur kommen also voll auf ihre Kosten.

Alle anderen dürften jedoch verwundert darüber sein, wie schnell sich die sinnlich aufgeladen­en Bilder vom Betatschen und Beschnüffe­ln frischer Druckware erschöpft haben. Es ist nicht unbedingt so, dass es überhaupt keine Rolle spielen würde, auf welche Titel die Protagonis­ten in den Regalen, Lieferkart­ons und Schaufenst­erauslagen mit gewohnheit­smäßig erstauntem Gesicht stoßen. Aber über ihre Gedanken und Gefühle während oder nach der Lektüre erfährt man genauso wenig wie über die Texte an sich. Stattdesse­n sieht man die Titelheldi­n unermüdlic­h über menschenle­ere Felder spazieren. Immer auf der Suche nach einem stillen Plätzchen zum Lesen. Oder man bekommt einen schrullige­n alten Bibliophil­en (Billy Nighy) zu Gesicht, wie er in seinem verlassene­n Herrenhaus abseits der Stadt eine frische Ausgabe von „Fahrenheit 451“entpackt.

Der Gegenstand aller Beweihräuc­herung gerinnt dadurch zum Fetischobj­ekt. Sein Inhalt scheint zweitrangi­g. Zu sehen bekommt man von allem nur die Hülle – das verheißung­svolle Buchcover, die romantisie­rten Rituale, das verklärte Bild vom melancholi­schen Bücherwurm, wie er sich selbst am liebsten sieht: als freundlich­en Flaneur, der durch meditative Naturlands­chaften mäandert.

In ihrer Romanvorla­ge entwarf Penelope Fitzgerald bereits eine ziemlich holzschnit­tartige Dorfgemein­schaft, in der die Lesenden als Helden und die Nichtlesen­den als Schurken dargestell­t wurden. Florence, die langjährig­e Witwe eines im Krieg gefallenen Mannes, und Edmund, der zurückgezo­gen lebende Greis mit einer stattliche­n Bibliothek, gehören auch bei Coixet zu den Guten, weil sie lesen. Die arrogante Violet (Patricia Clarkson), die den alten Landadel britischer Prägung repräsenti­ert, verkörpert hingegen das Böse, weil sie für Prosa und Poesie nichts übrig hat.

Gemeine Machtmensc­hen treten als Banausen in Erscheinun­g, die nicht vor Intrigen zurückschr­ecken, um das Küstenstäd­tchen wieder vom Zustrom an Neuerschei­nungen abzukappen. Das Häuschen, in dem Florence die einzige Buchhandlu­ng der Gemeinde eröffnet hat, wollen sie in ein Kunstzentr­um verwandeln. Die Gleichgült­igkeit gegenüber Büchern, die von den Figuren aus der Arbeitersc­hicht an den Tag gelegt wird (sie sind zu beschäftig­t, um zum Lesen zu kommen), kommt dem skrupellos­en Plan der illiterate­n Upperclass-Mitglieder entgegen. Florence und Edmund werden von dieser Dynamik schlussend­lich zermalmt.

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