„Wer als Journalist wissentlich lügt, hat versagt“
Medien. Der Wiener Autor und Journalist Simon Hadler sieht sich an, wann und wie Fakten zu Fake News werden. Er ist einer von zwei Vortragenden bei der nächsten Styria-Ethics–Veranstaltung in Graz zum Thema „Die Lüge im Journalismus“.
Die Presse: In Ihrem Buch „Wirklich wahr“erläutern Sie, warum Fakten nicht automatisch die Wahrheit erzählen – und wie mit Fakten manipuliert werden kann. Wie sind Sie auf Idee zum Buch gekommen? Simon Hadler: Ich habe 2015 für orf.at immer wieder Artikel über Flüchtlingsthemen geschrieben und dabei Informationen von Boulevardmedien überprüft. Es war alles erlogen. Und diese Lügen haben dann die unglaublichsten Hasspostings provoziert. Ich wollte darüber nachdenken, sprechen, schreiben.
Gab es Reaktionen auf das Buch? Die „Krone“hat es sehr gelobt, obwohl ich sie darin hart kritisiere. Darüber habe ich mich ehrlich gefreut – auch wenn ich mir nicht sicher bin, ob es sich dabei um die Fähigkeit zur Selbstkritik handelt oder ob sie das Buch einfach nicht gelesen haben.
Wie definieren Sie „Wahrheit“im Journalismus? Die Wirklichkeit, die Realität kann man beschreiben. Aber die Wahrheit ist ein viel heiklerer Begriff. Sie beinhaltet eine Interpretation der Wirklichkeit.
Journalisten interpretieren Fakten, sollen sie das denn nicht mehr tun? Sie sollen sie einordnen – und ja, auch interpretieren. Sie müssen sich dabei nur erklären: Aufgrund dieser und jener Fakten komme ich zu dieser und jener Interpretation. Und, wenn möglich, noch dazuschreiben: Andere interpretieren dieselben Fakten jedoch so oder so. Ich darf als Journalist nur nicht so tun, als ob meine Interpretation der Fakten die Wirklichkeit darstellte.
Und lügen? Wer als Journalist wissentlich lügt, hat versagt. Wir haben Verantwortung und dürfen uns nicht zu Propagandisten machen, weder für Ressentiments noch für die gute Sache. Notlügen sind im Alltag probat, im Journalismus sind sie es nicht. Aber natürlich ist niemand davor gefeit, mal danebenzuhauen und ohne Absicht die Unwahrheit zu schreiben. Das firmiert dann unter „Kunstfehler“.
Sie schreiben, ob Fakten aus dem Netz wahr, falsch oder überbewertet sind, ist in Staaten wie dem Tschad, Burundi oder Malawi zweitrangig. Ist das Thema ein First-World-Problem? Nein. Ich wollte darauf aufmerksam machen, dass viele Menschen noch gar nicht im Netz sind, noch nicht einmal ans Stromnetz angeschlossen sind. Aber Lügen und Propaganda gibt es auch in Zeitungen, und sie werden von Politikern verbreitet. Fake News können auch in den ärmsten Ländern der Welt – gerade dort – das gesellschaftliche Klima vergiften. Wir reden seit mindestens drei Jahren über Fake News und die „Lügenpresse“. Hat sich etwas an der Debatte geändert? Erstens sind viele großartige Initiativen entstanden bzw. haben bereits bestehende Initiativen endlich die Aufmerksamkeit bekommen, die ihnen gebührt, Mimikama zum Beispiel. Zudem beschäftigen sich vermehrt wissenschaftliche Institutionen mit dem Phänomen, was zu begrüßen ist. Aber es gib eine zweite Ebene, die öffentliche, boulevardeske Bühne. Und da ist die Debatte ins totale Gaga abgeglitten. Jeder bezichtigt jeden, der nicht derselben Meinung ist wie er selbst, Fake News zu verbreiten. Der Begriff ist völlig ausgehöhlt. Dahinter steckt zum Teil auch Strategie.
Wo gibt es einen Fortschritt? Die meisten Versuche, Fake News und Hasspostings einzudämmen, wirken etwas patschert. Gut ist es, Facebook in die Pflicht zu nehmen, ganz einfach, weil Facebook der Flaschenhals ist, durch den die Medien gefiltert an die Menschen gelangen. Dass Facebook versucht, Fake News zu identifizieren, ist ein erster Schritt und auch, dass Datenkraken wie Cambridge Analytica von ihren Raubzügen abgehalten werden. Viel wichtiger finde ich, dass Facebook insgesamt die Verbreitung von Nachrichteninhalten einschränkt. Facebook ist kein Medium. Ein Algorithmus eignet sich nicht dazu zu entscheiden, welche Nachrichten für mich wichtig sind oder nicht. Der Algorithmus potenziert die Reichweite von Meldungen mit Empörungspotenzial, weil auf die am meisten reagiert wird. Wir brauchen verantwortungsvolle Schleusenwärter – und das können nach wie vor nur Menschen sein.