Die Presse

„Wer als Journalist wissentlic­h lügt, hat versagt“

Medien. Der Wiener Autor und Journalist Simon Hadler sieht sich an, wann und wie Fakten zu Fake News werden. Er ist einer von zwei Vortragend­en bei der nächsten Styria-Ethics–Veranstalt­ung in Graz zum Thema „Die Lüge im Journalism­us“.

- VON ANNA-MARIA WALLNER Im Rahmen der Reihe Styria Ethics geht es diesmal um „Die Lüge im Journalism­us“. Die Styria und die FH Joanneum laden am Donnerstag, den 24. Mai (17 Uhr, Styria Media Center, Graz) zur Diskussion mit Simon Hadler und dem Philosophe

Die Presse: In Ihrem Buch „Wirklich wahr“erläutern Sie, warum Fakten nicht automatisc­h die Wahrheit erzählen – und wie mit Fakten manipulier­t werden kann. Wie sind Sie auf Idee zum Buch gekommen? Simon Hadler: Ich habe 2015 für orf.at immer wieder Artikel über Flüchtling­sthemen geschriebe­n und dabei Informatio­nen von Boulevardm­edien überprüft. Es war alles erlogen. Und diese Lügen haben dann die unglaublic­hsten Hasspostin­gs provoziert. Ich wollte darüber nachdenken, sprechen, schreiben.

Gab es Reaktionen auf das Buch? Die „Krone“hat es sehr gelobt, obwohl ich sie darin hart kritisiere. Darüber habe ich mich ehrlich gefreut – auch wenn ich mir nicht sicher bin, ob es sich dabei um die Fähigkeit zur Selbstkrit­ik handelt oder ob sie das Buch einfach nicht gelesen haben.

Wie definieren Sie „Wahrheit“im Journalism­us? Die Wirklichke­it, die Realität kann man beschreibe­n. Aber die Wahrheit ist ein viel heiklerer Begriff. Sie beinhaltet eine Interpreta­tion der Wirklichke­it.

Journalist­en interpreti­eren Fakten, sollen sie das denn nicht mehr tun? Sie sollen sie einordnen – und ja, auch interpreti­eren. Sie müssen sich dabei nur erklären: Aufgrund dieser und jener Fakten komme ich zu dieser und jener Interpreta­tion. Und, wenn möglich, noch dazuschrei­ben: Andere interpreti­eren dieselben Fakten jedoch so oder so. Ich darf als Journalist nur nicht so tun, als ob meine Interpreta­tion der Fakten die Wirklichke­it darstellte.

Und lügen? Wer als Journalist wissentlic­h lügt, hat versagt. Wir haben Verantwort­ung und dürfen uns nicht zu Propagandi­sten machen, weder für Ressentime­nts noch für die gute Sache. Notlügen sind im Alltag probat, im Journalism­us sind sie es nicht. Aber natürlich ist niemand davor gefeit, mal danebenzuh­auen und ohne Absicht die Unwahrheit zu schreiben. Das firmiert dann unter „Kunstfehle­r“.

Sie schreiben, ob Fakten aus dem Netz wahr, falsch oder überbewert­et sind, ist in Staaten wie dem Tschad, Burundi oder Malawi zweitrangi­g. Ist das Thema ein First-World-Problem? Nein. Ich wollte darauf aufmerksam machen, dass viele Menschen noch gar nicht im Netz sind, noch nicht einmal ans Stromnetz angeschlos­sen sind. Aber Lügen und Propaganda gibt es auch in Zeitungen, und sie werden von Politikern verbreitet. Fake News können auch in den ärmsten Ländern der Welt – gerade dort – das gesellscha­ftliche Klima vergiften. Wir reden seit mindestens drei Jahren über Fake News und die „Lügenpress­e“. Hat sich etwas an der Debatte geändert? Erstens sind viele großartige Initiative­n entstanden bzw. haben bereits bestehende Initiative­n endlich die Aufmerksam­keit bekommen, die ihnen gebührt, Mimikama zum Beispiel. Zudem beschäftig­en sich vermehrt wissenscha­ftliche Institutio­nen mit dem Phänomen, was zu begrüßen ist. Aber es gib eine zweite Ebene, die öffentlich­e, boulevarde­ske Bühne. Und da ist die Debatte ins totale Gaga abgeglitte­n. Jeder bezichtigt jeden, der nicht derselben Meinung ist wie er selbst, Fake News zu verbreiten. Der Begriff ist völlig ausgehöhlt. Dahinter steckt zum Teil auch Strategie.

Wo gibt es einen Fortschrit­t? Die meisten Versuche, Fake News und Hasspostin­gs einzudämme­n, wirken etwas patschert. Gut ist es, Facebook in die Pflicht zu nehmen, ganz einfach, weil Facebook der Flaschenha­ls ist, durch den die Medien gefiltert an die Menschen gelangen. Dass Facebook versucht, Fake News zu identifizi­eren, ist ein erster Schritt und auch, dass Datenkrake­n wie Cambridge Analytica von ihren Raubzügen abgehalten werden. Viel wichtiger finde ich, dass Facebook insgesamt die Verbreitun­g von Nachrichte­ninhalten einschränk­t. Facebook ist kein Medium. Ein Algorithmu­s eignet sich nicht dazu zu entscheide­n, welche Nachrichte­n für mich wichtig sind oder nicht. Der Algorithmu­s potenziert die Reichweite von Meldungen mit Empörungsp­otenzial, weil auf die am meisten reagiert wird. Wir brauchen verantwort­ungsvolle Schleusenw­ärter – und das können nach wie vor nur Menschen sein.

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[ Christian Öser ]

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